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Eine lange dunkle Nacht

Eine lange dunkle Nacht

Titel: Eine lange dunkle Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Pike
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verbrachten. John und Candy hatten die Kunst des Abschreibens perfektioniert; sie benutzten Spiegel, Papierbällchen, unsichtbare Tinte, das Morse-Alphabet, ja sogar Telepathie. Yeah, sie waren einander so nahe, daß John Candy nur anzusehen brauchte, und sofort wußte sie, was er dachte. Wenn beispielsweise bei Frage zwanzig die Antwort c richtig war, dachte er etwas wie »dein großer Zeh ist wunderschön«.
    John war sehr besitzergreifend. Selbst wenn Candy bloß mit einem anderen Typen redete, ging er die Wand hoch – und der andere Typ ging in der Regel mit einer blutigen Nase nach Hause. John konnte wirklich jähzornig werden, keine Frage. Am schlimmsten wurde es gegen Ende des Schuljahres, Anfang Juni, kurz vor ihrem Abschluß. Sie mußten noch eine Arbeit schreiben – Chemie, Johns bestes Fach, Candys schlechtestes. Sie konnte kein Reagenzglas in die Hand nehmen, ohne automatisch an einen Schwangerschaftstest zu denken. Sie glaubte, die periodische Tabelle der Elemente hätte etwas mit der Menstruation zu tun. Ja, das war das Mädchen, das Ärztin werden sollte!
    Wie auch immer, ihre Eltern setzten ihren Willen durch, und Candy wurde, wie John, in Berkeley angenommen. Sie hatten alles geplant: Sie würden in einem billigen Bungalow wohnen und sich Abendjobs in einem Kino besorgen, und vor allem würden sie sich mindestens zweimal am Tag lieben. Daß Candy in Berkeley überhaupt angenommen wurde, lag aber einzig an der Tatsache, daß John in den letzten beiden Jahren ihre Noten radikal auf Vordermann gebracht hatte. Und nun würde sie ein College besuchen, in das sie nicht gehörte. John wußte das, doch er traute sich zu, sie irgendwie durchschleifen zu können.
    Aber ich will nicht vorgreifen. Erst mußte noch die Chemiearbeit geschrieben werden. John war gut vorbereitet, hatte trotz Tankstellenjobs schwer gebüffelt. Candy hingegen hatte dieselbe Zeit mit dem Zeichnen von Gott wer weiß was verbracht. Sie wußte gerade mal so, daß die Formel für Wasser H 2 O ist. Beide hatten geplant, daß er ihr gleich zu Anfang die Lösungen geben würde, doch ihr Plan war nicht gut genug. Sie waren mittlerweile total überheblich und glaubten, alle Lehrer seien Volltrottel. Nicht im Traum dachten sie daran, erwischt werden zu können.
    Ihr Chemielehrer war ein gewisser Mr. Sims. Er hatte die Angewohnheit, während der Klassenarbeiten aus dem Raum zu gehen und nebenan in der Abstellkammer herumzuwerkeln. Das ganze Jahr über war es so gewesen, und John hatte die Zeit immer dafür genutzt, Candy einen Spickzettel zu geben. Die Abstellkammer lag direkt hinter einer Verbindungstür, daher konnte Sims jeden Augenblick ins Klassenzimmer zurückkommen. Doch John konnte hören, wenn Sims kam.
    Diesmal jedoch war alles anders. Sims verschwand erst gegen Ende der Arbeit in den Abstellraum, und Candy warf John flehentliche Blicke zu. Sie war erst bei Aufgabe drei, und es gab derer zwanzig. John riß einen Schmierzettel aus seinem Block und schrieb hastig die Lösungen auf. Mit seiner Arbeit war er längst fertig. Er war immer als erster fertig.
    John hatte vor, seine Arbeit nach vorn zu bringen und den Zettel im Vorbeigehen auf Candys Tisch fallen zu lassen. Mr. Sims war nebenan. Natürlich waren eine Menge anderer Leute da, ungefähr vierzig Schüler, aber John verschwendete keinen Gedanken an sie. Er konnte sich nicht vorstellen, daß ihn einer seiner Klassenkameraden verpfeifen würde. Das war typisch für ihn. Zwar machte er den Leuten das Leben schwer, aber er wollte keinem etwas Böses.
    Vielleicht lag es an der stressigen Situation. Vielleicht hatte John das Mädchen im Laufe des Jahres irgendwann verarscht, und sie wartete nur darauf, es ihm heimzuzahlen. Ist auch egal. John zerknüllte den Spickzettel, stand auf und ließ ihn im Vorbeigehen auf Candys Tisch fallen. Candy war darauf vorbereitet, wartete bereits sehnsüchtig. Doch ihr blieb keine Zeit, den Zettel zu verstecken, denn sofort schrie ein Mädchen von weiter hinten nach Mr. Sims. Moment, das nehme ich zurück. Candy hätte genug Zeit gehabt, das Beweisstück verschwinden zu lassen. Sie hätte das Papierbällchen einfach nur herunterschlucken müssen – aber sie saß nur wie zur Salzsäule erstarrt da. Mr. Sims kam ins Klassenzimmer gestürzt und wollte wissen, was vor sich ging. Das Mädchen deutete auf John und Candy.
    ›John hat Candice gerade einen Spickzettel gegeben‹, plärrte sie. Sie hatte eine dieser weinerlichen Stimmen, die ihren künftigen

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