Eine lange dunkle Nacht
Ehemann früher oder später unter Garantie in die Arme einer anderen Frau treiben würde. Mr. Sims eilte zu John und Candy. Er war in schlechter Verfassung. Seine Frau hatte ihn kürzlich wegen eines Dokumentarfilmers verlassen, und Sims hatte seinen Frust an seinen Schülern ausgelassen, indem er seine Klassenarbeiten von Mal zu Mal schwieriger machte. Dennoch erwartete John keinen ernsthaften Ärger. Immerhin war er Sims' bester Schüler, der einzige, der eine glatte Eins hatte. Er sah, wie Sims näher kam, und flüsterte Candy zu, sie solle den verdammten Spickzettel verschwinden lassen. Möglicherweise hörte Candy ihn nicht.
›Habe ich euch beide beim Abschreiben erwischt?‹ wollte Mr. Sims wissen. Er war nicht groß – eher klein und rundlich. Doch seitdem ihn seine Frau verlassen hatte, benahm er sich wie ein Zwei-Meter-Mann. Sein Gesicht war feuerrot angelaufen, und John ahnte nicht, wie sauer Sims tatsächlich war.
›Nein, ich wollte bloß meine Arbeit abgeben‹, antwortete John. ›Ich habe keine Ahnung, wovon Annie spricht.‹ Das Mädchen hieß nicht Annie, sondern Sally. Und Sally hatte an ihrer Last schwer zu tragen. Sie sprang von ihrem Platz auf und rannte zu Mr. Sims. Der Spickzettel lag noch immer auf Candys Tisch. Triumphierend griff Sally danach und drückte ihn Mr. Sims in die Hand.
›Ich habe genau gesehen, wie John das auf Candys Tisch fallen ließ‹, krächzte sie mit ihrer Plärrstimme.
›Ist das wahr?‹ wollte Sims von Candy wissen.
›Nein‹, mischte John sich ungefragt ein.
›Das ist völliger Unsinn‹, pflichtete Candy ihm bei.
Natürlich kaufte Sims ihnen das nicht ab. Dazu hätte er schon ziemlich bescheuert sein müssen. ›Und woher, bitteschön, kommt dann dieser Zettel?‹ fragte er, während er das Papier auffaltete.
John wurde übermütig. ›Ich glaube, der Zettel gehört Annie‹, sagte er.
›Mein Name ist Sally, und du bist ein gottverdammter Lügner‹, näselte Sally aufgebracht.
›Dies ist zweifellos deine Handschrift‹, sagte Mr. Sims, nachdem er den Zettel begutachtet hatte. ›Du brauchst es gar nicht abzustreiten.‹
John zuckte mit den Schultern. ›Ich streite es ja gar nicht ab. Ich find's nur halb so schlimm. Candy hatte wegen ihrer todkranken Mutter einfach keine Zeit zum Lernen. Stimmt doch, Candy, oder?‹
›Seitdem bei meiner Mutter ein Tumor entdeckt worden ist, geht es ihr hundeelend‹, sagte Candy zu Mr. Sims. ›Sie spuckt so gut wie jede Nacht Blut.‹
›Ich habe deine Mutter erst letzten Monat im Supermarkt gesehen‹, entgegnete Mr. Sims mit hochrotem Kopf. ›Da sah sie noch völlig gesund aus.‹
›Sie hätten mit ihr ausgehen sollen‹, mischte John sich wieder ein. ›Ihr Mann ist ein ziemlicher Hänger. Ich glaube, Sie und Candys Mutter wären ein hübsches Pärchen.‹
Mr. Sims lief beinahe die Galle über. Wie ich schon sagte, er litt darunter, daß seine Frau ihn verlassen hatte. Und er war intelligent genug, um zu wissen, daß John darauf anspielte. Er hielt Candy den Spickzettel unter die Nase. ›Hast du John darum gebeten, dir die Lösungen zu geben?‹
Candy antwortete nicht sofort, sondern starrte zu John hoch. Allmählich dämmerte ihm, daß dieser Vorfall nicht gut enden würde, aber noch war er sich der folgenschweren Konsequenzen nicht bewußt. Er sah keinen Sinn darin, Candy in die Sache zu verwickeln, und sagte zu Mr. Sims: ›Sie hat mich nicht darum gebeten. Sie wußte nicht einmal, was ich tat, als ich den Schrieb auf ihren Tisch fallen ließ.
Den Blick auf Johns Augen geheftet, nickte Mr. Sims langsam. Er streckte seine Hand aus. ›Gib mir deine Arbeit‹, sagte er. John tat wie geheißen. Mr. Sims nahm die Bögen entgegen und begann, einen nach dem anderen in winzige Schnipsel zu zerreißen.
Da rastete John aus. Er hatte für diese Arbeit wie besessen gepaukt. Es war die wichtigste von allen – die Note trug ein Viertel zu seiner Gesamtnote bei. Eine Sechs zu bekommen bedeutete, daß seine Gesamtnote von Eins auf Vier fallen würde. Sein Jähzorn flammte auf, und dies verhieß nichts Gutes. ›Wieso zum Teufel haben Sie das getan?‹ schrie er Mr. Sims an.
›Weil du ein unverschämter Betrüger bist‹, schrie Mr. Sims zurück. Er zeigte zur Tür. ›Raus hier, du Lügner!‹
›Sie können mich nicht einfach rausschmeißen!‹ brüllte John.
Mr. Sims stieß mit dem Finger gegen Johns Brust. ›Doch, genau das habe ich gerade getan! Raus hier. Du bist durch die Abschlußprüfung gefallen.
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