Eine Leiche zu Ferragosto
entdeckten, im Brautkleid und zwanzig Jahre jünger, oder die Kurzwarenhändlerin, den Fischverkäufer und Ciccino, der am Strand die Sonnenschirme aufstellte.
Mindestens eine Stunde lang beachtete keiner die langen Tische, wo willige Hausfrauen Teller und Bleche und Tablettsvoll der herrlichsten Leckereien abstellten, welche die Phantasie und die cilentanische Küche nur hervorbringen konnten. Melanzane ’mbuttunate, mit Hackfleisch und Käse gefüllte, gebratene Auberginenscheiben, außerdem Pizzen mit Borretsch und gefüllte Pizzen, cicci maritati, die traditionelle Gemüse-Getreide-Suppe, die typischen Vicci -Brotfladen mit Kartoffeln, die mächtigen, mit Fenchel gewürzten süßlichen Tortani- Brötchen, die mit Creme gefüllten nocchetelle, die frittierten Honigbällchen, struffoli genannt, und die scauratielli, luftig gebackene Pfannkuchenkringel, all das blieb lange unberührt liegen, bevor die Aufmerksamkeit der Menge sich allmählich dem Essen zuwandte. TeleCilento war mit drei Kameras und einem Reporter vor Ort, und die Bühne für den Vortrag der extra für diesen Anlass von Heimatdichtern verfassten Verse war der nobelste, wenn leider auch der am schlechtesten besuchte Ort der ganzen Kirmes.
Plötzlich fügte sich in seinem Kopf eins zum anderen, in glasklarer, beinah verstörender Perfektion. Alles, jedes kleinste Detail, jeder Widerspruch, der ihn in den letzten Tagen umgetrieben hatte, jedes Wort, über dem er gebrütet hatte, jede nervige und noch so unpassende Einzelheit fand plötzlich seinen Ort. Und die Wahrheit war so grausam, dass Santomauro für einen Moment die Augen schloss.
Pippo Mazzoleni schlenderte von einer Stellwand zur nächsten, in der Hand einen angebissenen Struffolo. Es waren wunderschöne Bilder, welche die Hochzeitsgesellschaften auf den Gassen, Plätzen und vor den Kirchen der umliegenden Ortschaften zeigten.
Unwillkürlich musste er an seine eigene Hochzeit denken, und aus irgendeinem Grund kamen ihm diese Brautleute von vor vielen Jahrzehnten jünger und realer vor, als er und Elena es vor gar nicht so langer Zeit gewesen waren. Ihr Hochzeitsalbum, natürlich in teures Leder gebunden, lag irgendwo zu Hause in Neapel, seit langem vergessen. Pippo konnte sich nur nochan das eigenartige Hochgefühl damals erinnern, und an die Orangenmousse zwischen dem Fisch- und dem Fleischgang. An Elena nicht, an sie erinnerte er sich überhaupt nicht mehr. Dabei hatte er sie geliebt, und hätte es Valentina nicht gegeben …
Hätte es Valentina nicht gegeben, wäre das alles nicht passiert, sagte er strikt zu sich selbst. Hör auf, an sie zu denken, das tut dir nicht gut, ist nicht in Ordnung.
»Pippo!« Die Stimme riss ihn aus seinen Gedanken. Mit einem mechanischen Lächeln drehte er sich um, in der einen Hand den Struffolo, in der anderen ein Foto.
»Bist du am Träumen? Komm mit uns, auf der Bühne steht einer, der ist zum Totlachen.«
Regina lächelte ihm zu, während sie ihn freundschaftlich unterhakte.
Gerry und Aloshi waren nicht weit weg, ebenso de Collis, untadelig wie immer. Und er wusste, wenn er sich umdrehen würde, wären da Olimpia Casaburi mit ihrem Priester, Mina D’Onofrio – heute ohne Mann? –, Evelina Fasulo und Gatte, Avvocato Palumbo, die Pasqualettis, vielleicht sogar der Steuerberater Maurizio, den er seit dem Abend im Blue Moon nicht mehr gesehen hatte. Nur Bebè fehlte, doch keiner schien sich zu erinnern, was ihr zugestoßen war.
Er ließ sich von Regina und den anderen mitziehen, lachte und unterhielt sich. Schluss mit Valentina, Schluss mit allem. Morgen, sagte er sich, beginnt die zweite Hälfte meines Lebens.
»Komm schon, Olimpia, entspann dich. Dir ist eine Zentnerlast vom Gewissen genommen, hatte ich recht oder nicht?«
»Ich höre immer Gewissen. Ich wusste nicht einmal, dass du eins besitzt, Olimpia!«
»Bitte, Gerry, ich bin nicht zu Scherzen aufgelegt.«
»Das stimmt allerdings, du siehst aus, als kämst du von einer Beerdigung.«
»Habt ihr etwa schon vergessen, dass die letzten Tage alles andere als lustig für sie waren?!«
»Wenn es das ist, lieber Lillo, sie waren für keinen von uns lustig, aber man darf den Kopf nicht hängen lassen.«
»Nun, das gelingt dir ja ganz hervorragend, liebe Regina.«
»Typisch Jesuit. Aber dir kann ich ja eh nicht böse sein.«
»Die Macht der Kutte. Komm mit, Olimpia, rate mal, wer das hier auf dem Foto ist.«
»Danke, ich hab’s wirklich nicht mehr ausgehalten.«
»Das sieht man
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