Eine Leiche zu Ferragosto
Bitterlemon und einen Zitronensirup intus. Er konnte nicht mehr. Solche Feste waren Gift für seinen Magen, auf Schritt und Tritt traf er Freunde und Bekannte und konnte einfach nicht nein sagen.
Er saß an einem der Tische vor der Bar Centrale mit seinem aktuellen Getränk vor sich. Gleich würde er zur Piazza Alario hinaufgehen müssen, doch seine Eingeweide wanden sich beim Anblick der älteren und jüngeren Damen von Pioppica, die in Festtagslaune vorbeiflanierten, jede mit etwas Essbarem in der Hand. Es würde böse enden, das wusste er.
Wenn ihm wenigstens jemand Beistand leisten würde. Aber nein, sie hatten sich alle in ihre Winkel verkrochen. Simone saß noch im Büro unter dem Vorwand, Schreibkram zu erledigen, Totò hatte sich bis vor einer halben Stunde hier herumgetrieben, hustend und niesend, ließ sich aber schon eine Weilenicht mehr blicken, und Pietro hatte den Verdacht, dass er krankfeierte. Ammaturiello hatte frei, der Glückliche, und alle anderen, die unauffällig den friedlichen Verlauf des Festes hätten überwachen sollen, hatten sich in Luft aufgelöst. Sogar Cozzone war verschwunden, nur er selbst war noch übrig, bereit, sich für die Sache zu opfern.
Seufzend stand er auf. Das war einfach nicht gerecht.
»Kommen Sie, Brigadiere, ich habe da ein Tröpfchen, das Sie unbedingt probieren müssen.«
Der stellvertretende Bürgermeister, Dottor Valente, mit Bartomeu Palmisano, dem Tourismusbeauftragten und Grundschullehrer des Ortes, genannt Don Pampelmus.
Gnarra ließ sich unterhaken und ins Festgetümmel entführen. Immer er.
»Hallo, Maresciallo? Hier spricht jemand, der die Fakten kennt. Ich wollte Ihnen sagen, dass die Signora Regina Capece Bosco bis zum Hals in Schulden steckt, und wer weiß schon, ob der Herr Architekt Mazzoleni ebenso großzügig ist wie seine arme Frau. Und außerdem, dass der Architekt De Giorgio gar nicht weg ist. Er hat sich in seinem Haus verkrochen, und das Mädchen habe ich auch gesehen. Das wollte ich Ihnen nur sagen, was ich hiermit getan habe. Nun erledigen Sie Ihre Arbeit.«
»Ich danke Ihnen von Herzen, Signorina Pilerci. Ihre Informationen sind immer Gold wert. Könnten Sie mir bitte auch noch etwas anderes bestätigen?«
Nach einem kurzen bestürzten Schweigen fasste die anonyme Informantin sich wieder und gab Santomauro die gewünschte Auskunft.
Piazza Aloisio Alario war buchstäblich mit Fotos tapeziert. Schwarzweißbilder im Format dreizehn mal achtzehn, an Ausstellungswände gepinnt, über Tische verstreut, zu Alben sortiert, Fotos überall. Die Leute gingen von einem zum anderen, betrachteten sie neugierig, taten erstaunte Ausrufe, deuteten auf einzelne Bilder, suchten nach bekannten Gesichtern.
Das war sie also, die große Überraschung zum Fest der heiligen Atenaide, und der Erfolg übertraf alle Erwartungen. Sie kamen aus Vallo, aus Centola, Ceraso, Pioppi, Acciaroli, Casalvelino, Ogliastro, Casale Marino, Stio, Moio, sogar aus Palinuro oder von noch weiter her. Alle wollten die cilentanischen Brautleute sehen, um einen Verwandten, einen Freund zu finden, ein schon lange verblichenes Gesicht oder auch das eigene, um etliche Jahre jünger.
Es war eine geniale Idee, der Tourismusbeauftragte rieb sich zufrieden die Hände. Brautpaare aus den dreißiger Jahren bis heute, manche sogar noch älter, allesamt am glücklichsten Tag ihres Lebens verewigt. Naive und verlorene Gesichter, junge, gerade erst erblühte Mädchen in dem von Mama genähten Kleid, junge Männer mit Bauernhänden, die Haare toupiert, im feinen Anzug für den besonderen Anlass, und drum herum die Verwandtschaft, mit aufgerissenen Augen ins Objektiv starrend. Hübsche Bräute und hässliche Bräute, junge und alte, fröhliche oder verwirrte, in schlichtem Weiß oder über und über mit lächerlich viel Spitze und Tüll behangen, alle mit derselben bangen Hoffnung im Blick. Für viele von ihnen hieß es nach der Zeremonie Abschied nehmen von Freunden und Familie, von dem bescheidenen Heim und den Erinnerungen, und auf übers Meer nach Venezuela oder Argentinien, ferne und geheimnisvolle Gefilde, von denen weder sie noch ihre Männer und Kinder je zurückkehren würden.
Andere Emigranten hingegen kamen wieder, manche mit Geld, manche ohne, doch immer randvoll mit Geschichten, und nun waren sie hier, auf dem Platz, und suchten mit Tränen in den Augen ihre Fotos.
Auch die Feriengäste hatten Tränen in den Augen, obschon meist vor Lachen, wenn sie die Kellnerin
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