Eine Leiche zu Ferragosto
nicht standhielten, dessen er sie, vielleicht nicht ganz unbewusst, aussetzte.
»Ich schließe niemanden aus, aber ich glaube, dass Elenas Mörder in ihrem engsten Freundeskreis zu suchen ist.« Er log ganz unverfroren, während er insgeheim dachte, dass dieser Mann hier höchst verdächtig war, aber hallo. Auch wenn ihm spontan kein Motiv einfallen wollte. Pater Lillo hätte sowohl die Mittel als auch die Gelegenheit und die Kaltblütigkeit gehabt, aber ein Motiv?
Erneut schien er seine Gedanken zu lesen. »Das Motiv. Was mir fehlt, ist das Motiv. Warum sie so zurichten? Finger und Zehen, das Gesicht, neben den Geschlechtsmerkmalen bevorzugtes Ziel von Irren im Wahn, nach allem, was ich gehört habe.«
Was ich gehört habe?, dachte Santomauro und stellte sich die Schlange der Irren vor, die einer nach dem anderen im Beichtstuhl des Jesuiten niederknieten. Bei der Vorstellung musste er schmunzeln, außerdem benutzte dieser Mann garantiert keinen Beichtstuhl. Er wählte bestimmt den Ort passend zum Teilnehmer aus, einen weichen Sessel für die feinen Damen, eine Treppenstufe oder ein Mäuerchen für den rastlosen Teenager. Und die Irren? Hinter seinem Schreibtisch, beschloss er. »Ich sehe, Sie sind gut informiert, wie im Übrigen jedermann«, sagte er mit einer gewissen Schärfe in der Stimme.
»Natürlich, aber dafür müssen Sie nicht de Collis die Schuld geben: Er ist verschwiegen wie ein Grab, obwohl er von mehreren Seiten bedrängt wurde. Aber seine Putzfrau ist dieselbe, die Olimpia hat, und sie hat die Notizen der Autopsie zuGesicht bekommen. Sie wissen ja, wie das so geht. Dann kam sie, alles ganz zufällig, mit Olimpia darauf zu sprechen und mit all den anderen auch, für die sie arbeitet.«
»Klar, wie das so geht. Amavila Ciccuto, vermute ich?«
»Ihnen entgeht wirklich nichts, Simone.«
»Tja, beinah so wie Ihnen. Die Verstümmelungen geben mir auch zu denken. Als habe jemand die Identifizierung hinauszögern wollen.«
»Doch dann legt er sie in die Algen unterhalb der Piazzetta von Pioppica. Ich verstehe das nicht.«
»Ich auch nicht«, gab Santomauro betrübt zu. Sie wanderten gerade zum fünften Mal den Strand in nördlicher Richtung entlang, als der Maresciallo ein kleines, schwarzweißes Pünktchen in der Ferne entdeckte, das schnell näher kam und immer deutlicher die Gestalt eines Carabiniere annahm, Cozzone, ja, es war Cozzone, in Uniform und mit sorgenvoller Miene, der schließlich keuchend vor ihnen stehen blieb, sich schmerzgekrümmt die dicke Taille hielt und, nachdem er sich so weit gefasst hatte, salutierte und heraussprudelte.
»Eine Leiche, Signor Maresciallo. Ein Mordopfer. Am kleinen Strand. Kommen Sie. Alle sind schon da.«
Ohne ein Wort lief Santomauro auf die nächstgelegene Treppe zu, in der Hand die Einkaufstüte und Lillo an der Seite, der wie ein Hundertmeterläufer lossprintete.
»Also, ich verliere dreiundfünfzigtausend … Habt ihr schon gehört? Sie verdächtigen Valentina.«
»In Wirklichkeit verlierst du vierundfünfzigtausend, und ich bekomme achtzigtausend Punkte. Ich halte das für Quatsch. Valentina hat wirklich Besseres zu tun. Sie genießt ihr Leben, nicht wie wir dummen Gänse hier, immer nur Haus, Bridge und Familie.«
»Ich bin unter einundsechzigtausend. Wenn das so weitergeht, bin ich ruiniert. Zu Valentina fällt mir übrigens eine hübsche Geschichte ein, was sie in einer Flughafentoilette mit einem blendend schönen Araber getrieben hat.«
»Könnt ihr mir mal sagen, wie ihr zu dieser Rechnung kommt, ich blicke da nicht mehr durch. Ich kann unmöglich nur fünfunddreißigtausend gewonnen habe. Die Geschichte mit der Toilette kenne ich auch, sie ist uralt und wahrscheinlich wahr. Valentina kann ich mir jedenfalls als Mörderin vorstellen.«
»Meinst du? Also gut, dreiundfünfzigtausend oder vierundfünfzigtausend, wie ihr meint, ich glaube zwar, es waren dreiundfünfzigtausend, aber wenn ich zahlen muss, dann zahle ich.«
»Ja, das ist gut, zahl du nur, dann rechnen wir ab. Ich gewinne achtzigtausend. Und was Valentina betrifft, ich weiß es nicht.«
»Ich verstehe einfach nicht, warum ich immer verliere. Ich glaube, dass eine gewisse Dame hier am Tisch eifersüchtig ist. Liebe, nun quäl dich nicht mit den alten Geschichten.«
»Was willst du damit andeuten? Immerhin hat mein Corrado nie mit dieser …«
»Ganz ruhig, Mädchen. Hier sind meine vier Euro fünfzig, lass uns abrechnen und nach Hause gehen.«
»Fünf fünfzig, meine Liebe.
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