Eine Leiche zum Nachtisch (German Edition)
selbst an den Flügel. Er war zwar kein begnadeter Spieler, aber für ein bisschen Stimmung sorgen, das konnte er.
Ein paar der Gäste ließen die Erfrischung aus und machten sich sofort auf die Suche nach dem versteckten Hinweis. Während Simons Hände mehr schlecht als recht über die Tasten huschten, beobachtete er, ob seine eifrigen Gäste den Schal bemerkten, den er auf den Kaminsims gelegt hatte. Er war das Zeichen und sollte die Gäste zum angeblichen Opfer des Spiels führen, dem schüchternen Zimmermädchen Stefanie, das nach dem Servieren der Erfrischung nicht mehr auftauchen durfte, da es in dem Spiel eine Leiche darstellte.
Bisher interessierte sich jedoch niemand für den Schal. Die Gäste drehten jedes Messer auf dem großen Esstisch um, krochen unter die kleinen Tische, die dabei gefährlich ins Wanken gerieten, untersuchten mit einer Lupe den Teppich und vertrieben Simon sogar von seinem Hocker vor dem Flügel. Offenbar war es kein Vergnügen, ihm zuzuhören. Ehrlich gesagt, spielte Simon so grauenhaft, dass Mona Winter mitleidig ihre Hand mit den weißen Handschuhen auf seine Schulter legte.
»Sie sind sehr tapfer, Herr Neumayer. Wir wissen das zu schätzen.«
Simon wunderte sich selbst ein bisschen, dass sein Spiel so schlecht war, dass sogar die Gäste darauf aufmerksam wurden. Früher war er eigentlich sogar ganz gut gewesen. Er hatte das Gefühl, dass mit dem Flügel etwas nicht stimmte. Ein paar Töne kamen nur schwer oder blieben ganz weg, wenn er die Tasten anschlug. Andere waren dumpf, während ein, zwei Töne hell klirrten. Irgendetwas musste mit dem Flügel passiert sein.
Schließlich machte die detektivische Entdeckerfreude einer Miss Marple selbst vor dem Flügel nicht mehr Halt, und sie öffnete die große Klappe. Der unschöne Klang drang noch deutlicher an die Ohren der Gäste, aber dazu kam auch der entzückte Aufschrei von Miss Marple. Sie zog ein Blatt Papier unter den Saiten des Flügels hervor und hielt es triumphierend in die Höhe. Simon hörte sofort auf zu spielen und ging zu den Gästen, die sich nun um das Papier scharten. Es war ein Kreuzworträtsel.
Waagerecht:
1. Brotbelag
2. Maschinelle Großproduktion
3. Miete eines Verkehrsmittels
4. Kräutergetränk
Senkrecht:
1. Deutscher Flugzeugbauer
2. Käferlarve
3. Kopfbedeckung
4. Halbedelstein
Das Lösungswort, bestehend aus Buchstaben der Worte, die die Rätsel ergaben, hatte sechs Buchstaben.
Während die Gäste begannen, sofort das Rätsel zu lösen, legte Mona Winter Simon die Handschuhhand auf den Arm. »Das war eine gute Idee«, meinte sie bewundernd zu Simon, doch der lächelte nur verwirrt. Was ging hier vor sich? Das war nicht der Hinweis, den er hinterlassen hatte. Wie kam das Papier in den Flügel? Was sollte das bedeuten?
Er hoffte für einen winzigen Moment, dass vielleicht Lukas sein eigenes kleines Mörderspielchen inszeniert hatte, um die Sache noch spannender zu machen, und nun ebenfalls aus dem Flügel gesprungen käme, aber der Gedanke war zu absurd. Das Spiel hatte ihn überhaupt nicht interessiert. Er wusste nicht einmal, dass Simon den Schal auf dem Kaminsims platziert hatte.
Dann hatte wahrscheinlich das Zimmermädchen das Kreuzworträtsel im Flügel versteckt. Sie wusste, wie verzweifelt Simon wegen Lukas war und darüber, dass August Huber vom Konkurrenzhotel Simons Idee für den Silvesterabend gestohlen hatte. Sie war zwar schüchtern und noch neu, aber sehr nett, und sie wollte mit Sicherheit ihren Job behalten, den sie erst in dieser Saison angetreten hatte. Doch dafür musste der Abend zu einem Erfolg werden.
Simon atmete auf. Es war eine sehr gute Idee gewesen, denn die Gäste widmeten sich fieberhaft dem Rätsel und überlegten, was es bedeuten könnte.
Heimlich schlich Simon zum Kaminsims und nahm den Schal herunter. Der war ja wohl nicht mehr nötig. Das Rätsel sah nicht leicht aus, damit waren seine Hercule Poirots und Miss Marples hoffentlich erst einmal ein Weilchen beschäftigt. Doch er hatte die Rechnung ohne Mona Winter gemacht.
Mona Winter war eine Meisterin im Kreuzworträtsellösen. Sie hatte nicht nur die Fechtweltmeisterschaften von 1951 gewonnen, sondern sie war auch eine Meisterin in allem, was Intelligenz und Logik erforderte. Mona Winter war ein Genie. Es standen mehr Pokale von Wissenswettstreiten in ihren Regalen als bei anderen Leuten Bücher, und sie beherrschte siebzehn Sprachen fließend. Wenn sie ein Rätsel oder eine Denksportaufgabe nur von weitem sah, konnte
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