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Eine letzte Breitseite

Eine letzte Breitseite

Titel: Eine letzte Breitseite Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Kent
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Yeo endlich mit seinen Männern bei ihm war und die Leine kappte, fiel er ihnen bewußtlos vor die Füße.
    »Schnell, Allday, schaffen Sie ihn hinunter!« befahl Bolitho. Dann rannte er nach achtern und half Pascoe auf die Füße. »Wie geht’s?«
    Pascoe betastete seinen Rücken und verzog das Gesicht. »Das war knapp…« Er starrte über das Deck. »Wo ist Bill Luce, Sir? Ist er…«
    »Er ist verletzt.« Jetzt reagierte das Schiff bereits spürbar, wenn auch langsam, auf seine Freiheit – die Männer, die ihm unter Schmerzen und Mühen dabei geholfen hatten, mochten ihm ganz gleichgültig sein. »Ich habe ihn zum Arzt bringen lassen.«
    Pascoe starrte ihn an. »O Gott – er hat mir das Leben gerettet!« Bolitho verstand seine Verzweiflung, sah trotz der Dunkelheit den Kummer in seinem Gesicht.
    »Ich gehe zu ihm hinunter, Adam. Du bleibst hier. Du wirst gebraucht.« Es tat weh, das zu sagen.
    Bolitho ging weiter nach achtern. Da stand Farquhar an der Achterdecksreling, als hätte er sich nie weggerührt. »Vielen Dank, Sir«, stieß er aus. »Daß Sie mit vorn waren, hat die Männer wieder in Schwung gebracht!«
    »Das möchte ich bezweifeln«, erwiderte Bolitho kühl. »Aber
ein
Kommandant achtern genügt.«
    Er blickte zum gerefften Marssegel hoch. Immer noch eisenhart, aber es hielt, trotz des enormen Drucks.
    »Ich gehe ins Krankenrevier«, sagte er.
    »Sind Sie verletzt, Sir?«
    »Lassen Sie mich sofort rufen, wenn sich etwas ändert.« Er schritt zur Kampanje. »Nein, verletzt bin ich nicht. Nicht körpe rlich.«
    Während er von einer Leiter zur nächsten tiefer stieg, wurden die Geräusche der See immer gedämpfter; jetzt empfingen ihn das Knarren der beanspruchten Planken, die Gerüche nach Bilgewasser und Teer. Schwankende Laternen warfen schiefe Schatten auf seinen Weg durch das untere Batteriedeck der
Lysander
,

wo das ganze Jahr lang kein Tageslicht hinkam. Bei dem kleinen Krankenrevier fand er ein paar Matrosen vor, die sich von der Behandlung erholten; manche waren verbunden, manchen half noch die tiefe RumNarkose über ihre Schmerzen hinweg. Die Luft war dick zum Schneiden und stank nach Leid und Blut.
    Er trat ein. Henry Shacklock, der Schiffsarzt, sprach mit seinen Gehilfen, die noch zwei Lampen über dem Tisch anbrachten. Shacklock blickte hoch und erkannte Bolitho. »Sir?«
    Er war ein müde aussehender, dünnhaariger Mann. In dem schwankenden, gelben Licht wirkte er fast kahl, dabei war er noch nicht einmal dreißig. Bolitho hatte festgestellt, daß er ein guter Arzt war – leider ein ziemlich seltener Fall auf den Schiffen des Königs.
    »Wie geht’s Mr. Luce?«
    Die Gehilfen traten zur Seite, und Bolitho sah, daß der Midshipman bereits auf dem Tisch lag. Er war nackt, sein Gesicht verzerrt, die Haut sehr bleich. Shacklock entfernte einen provisorischen Verband von der Schulter.
    Die Leine mußte Fleisch und Muskeln glatt durchschnitten haben. Der Unterarm lag in einem unnatürlichen Winkel, die Finger waren ausgestreckt und schlaff.
    Shacklock maß mit seiner Handspanne wie mit einem Zollstock eine Entfernung von der Schulter ab – knapp sechs Zoll.
    »Der Arm muß ab, Sir.« Zweifelnd schob er die Lippen vor.
    »Und selbst dann…«
    Bolitho sah auf Luces totenbleiches Gesicht hinunter. Siebzehn Jahre alt. Überhaupt noch nicht gelebt.
    »Muß das sein?«
    Wozu die Frage? Er hatte sie schon so oft gestellt.
    »Ja.« Der Arzt nickte seinen Gehilfen zu. »Je schneller, desto besser. Vielleicht kommt er nicht zu sich, bis wir fertig sind.«
    In diesem Moment schlug Luce die Augen auf. Regungslos starrten sie Bolitho an und schienen in diesen wenigen Sekunden alles zu begreifen, was geschehen war und was noch kommen würde.
    »Sie haben Mr. Pascoe das Leben gerettet. Adam kommt herunter, sobald er kann«, sagte Bolitho und versuchte, möglichst ruhig zu sprechen.
    Über den Kopf des Jungen hinweg sah er, daß Shacklock zwei Messer aus einem Kasten nahm. Eins war kurz, das andere lang und schmal. Einer der Gehilfen rieb unter der Laterne irgend etwas mit einem Tuch ab, und als der Mann seitwärts schwankte, sah Bolitho, daß es eine Säge war.
    »Mein Arm, Sir?« flüsterte Luce fast unhörbar. Die Tränen liefen ihm übers Gesicht. »Bitte nicht, Sir!«
    Der Gehilfe reichte Bolitho einen Becher Rum, und er hielt ihn dem Jungen an die Lippen. »Trinken Sie. So viel Sie können.« Der Rum tröpfelte ihm aus den Mundwinkeln; der Körper zitterte wie im Fieber. Das war alles, was sie

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