Eine Liebe wie Magie
engster Vertrauter, sich soeben das Leben genommen hatte.
Das Dienstmädchen stand da mit weit aufgerissenen Augen. »Aber, Mylord, wäre es nicht...«
»Verflucht, Frau, geh!«
Sie stürzte davon und rannte, um seinem Befehl zu gehorchen. Noah schloß die Augen und kämpfte gegen sein Entsetzen, während er zärtlich den Freund an sich drückte. »O Gott, Tony, warum? Warum hast du dir das angetan?«
»Mylord?«
Noah blickte auf und sah Westman, der immer noch an der Tür stand. Sein Gesicht hatte die gleiche Farbe wie seine Perücke angenommen. Er wußte, der Butler erwartete irgendwelche Instruktionen von ihm, einen Auftrag, den er ausführen konnte, doch Noah war unfähig, darauf einzugehen. Er war kaum in der Lage zu atmen.
Schließlich sprach Westman. »Vielleicht wäre es besser, Lord Keighley auf den Boden zu legen, Mylord.«
Westman hatte recht. Noah wußte das, und irgendwie löste sein Vorschlag die Lähmung, die ihn gepackt hatte. Er nickte und ließ sich mit Tonys Körper langsam auf den Boden nieder. Tonys Gewicht fiel schwer auf den Teppich, seine Glieder hingen schlaff herunter. Die ganze Zeit bemühte sich Noah, dem Anblick der tödlichen Wunde auszuweichen. Er wollte, mußte den Tony in Erinnerung behalten, der immer für ihn dagewesen war, den lachenden, sorgenfreien Tony seiner Jugend, nicht diese letzte tragische Figur, die mit dem Mann, der er einmal gewesen war, nicht die geringste Ähnlichkeit hatte. Freundlicherweise umhüllte Westman schnell die Leiche mit einem schweren Laken, das er vom Bett nahm, während Noah sich langsam aufrichtete. Gedankenverloren starrte er auf das behelfsmäßige Leichentuch. Sein Hemd, seine Hände, jeder Zentimeter von ihm, so schien es, waren unauslöschlich blutrot gefärbt. Tonys Blut.
Und dann traf ihn die Erkenntnis wie ein Schlag. Tony hatte Selbstmord verübt. Selbstmord war ein Verbrechen, gesetzlich verboten, ohne ein Begräbnis in geweihter Erde. Er würde an einer Wegkreuzung begraben werden, ohne Grabstein und mit der weiteren Erniedrigung eines Holzpflocks, der durch das Herz getrieben würde, als archaischer und geistloser Versuch, die Seele des Verstorbenen vom Umherwandeln abzuhalten. Die Keighley-Linie wäre für immer geächtet, Tonys Name ewig verantwortlich gemacht. Und Sarah, die süße, unschuldige Sarah würde ohne alles dastehen, ohne Familie, mittellos und sicherlich ohne Eigentum, denn laut Gesetz würde alles, was Tony besaß, wegen der kriminellen Art und Weise seines Ablebens konfisziert werden.
Noah wußte, daß er das niemals zulassen konnte.
»Westman«, sagte er, und seine Stimme war leise und seltsam klar. »Räumen Sie unten auf und kommen Sie dann zurück. Ich brauche Sie hier als Zeugen.«
»Ja, Mylord«, sagte Westman. Seine Jahre als Bediensteter hatten ihn gelehrt, keine Fragen über Noahs ungewöhnliche Bitte zu stellen.
Als Westman sich entfernt hatte, um seiner Aufgabe nachzukommen, ging Noah langsam um Tonys Leiche herum zum Schreibtisch. Dort lag die Pistolenkiste, und Noah öffnete sie sofort, um die Utensilien herauszunehmen. Er verteilte sie auf der Tischplatte, nahm das Pulverhorn und verstreute etwas Schießpulver. Sein Herz klopfte ihm bis zum Hals, seine Hände zitterten, als er alles so arrangierte, daß es das Geschehene vertuschen würde.
Als Noah zurücktrat, um die Szenerie nochmals zu überprüfen, begann sein Körper zu zittern. Seine Arme, seine Beine, jeder Teil von ihm schüttelte sich, als ob er nackt in eisiger Winternacht stünde. Er konnte nur an eines denken: Tony war tot. Tony hatte sich das Leben genommen. Und Noah war nicht dagewesen, um ihn davon abzuhalten. Sie hatten ihr Leben so lange Zeit miteinander geteilt, daß es ihm vorkam, als sei ein lebenswichtiger Teil von ihm plötzlich für immer verschwunden. Noah wußte, daß nichts in seinem Leben wieder so sein würde wie vorher.
Noah blickte zu Boden. Er bemerkte etwas Weißes auf dem dunklen Teppich, halb verdeckt vom Schreibtisch. Ein Stück Papier, teilweise gefaltet. Er hob es auf und überflog die wenigen kurzen Zeilen:
Mylord Vicomte Keighley, ich schreibe Ihnen, um Sie davon in Kenntnis zu setzen, daß ich Sie heute abend nicht wie geplant treffen werde. Und auch nicht zu irgendeinem zukünftigen Zeitpunkt. Ich habe entschieden, daß unsere Verbindung nicht mehr in meinem Interesse ist; ich löse sie deshalb. Jeglicher Versuch Ihrerseits, mich zu erreichen, sei es brieflich oder durch ein persönliches Treffen, wäre
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