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Eine Liebe zu sich selbst, die glücklich macht (German Edition)

Eine Liebe zu sich selbst, die glücklich macht (German Edition)

Titel: Eine Liebe zu sich selbst, die glücklich macht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margarete Mitscherlich
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ist die Einstellung zur Sexualität, die war natürlich nicht annähernd so wie heute. Als ich in die Pubertät kam und plötzlich anfing, mich, wie ich meinte, schick zu machen, so dass meine Mutter »Wie siehst du ordinär aus« sagte, und ich auf der Straße begann, Männer anzugucken und auch angeguckt werden wollte, da hatte meine Mutter offenbar große Sorge um mich und sah die sexuale Moral ihrer Tochter gefährdet.
    Die Sexualität war etwas, das man nur in der Ehe haben durfte und als Frau ganz entschieden möglichst in Grenzen halten sollte.
    1932 kam ich nach Flensburg auf das Gymnasium, da war noch eine sehr viel autoritärere Stimmung, als ich es in Dänemark gewöhnt war, aber wir hatten hervorragende Lehrer. Was ich mit unserem Englischlehrer und unserer Deutschlehrerin, auch in der Nazizeit, in der Oberstufe, 1934, 1935, an Literatur durchgenommen habe, hat mich tief geprägt. Deutschland hatte gute Schulen, es war eigentlich in den 20er Jahren ein fortschrittliches Land. Dann mit der Nazizeit kam der große Bruch und hat alle Leute wieder verdummt. Was wichtig in der Kunst war, wurde entartete Kunst, was wichtig in der Literatur war, wurde nicht mehr als solche anerkannt, sondern wurde verbrannt. Wir hatten dann Mühe, Abitur zu machen, weil die Clique um unsere Deutschlehrerin und auch um den Englischlehrer als politisch unzuverlässig angesehen wurde. Da spürte ich zum ersten Mal Angst und hatte das Gefühl, dass ich mein Leben nicht leben durfte, womöglich nicht studieren durfte. Ich wollte leben und habe mich dann angepasst, aber wir waren immer eine Clique. Mit den Menschen, mit denen ich während des ganzen Krieges zusammen war, bin ich, wenn sie nicht gestorben sind, heute noch zusammen. Wir waren alle keine Helden, die aktiv gegen die Nazis gekämpft haben, aber innerlich waren wir geprägt von der Zeit in der Oberstufe. Ich konnte natürlich auch in Dänemark in der dänischen Bibliothek weiterhin alles lesen. Dadurch war ich nie von der englischen oder amerikanischen Literatur und dem Denken abgeschnitten, das mir selbstverständlich und lieb war, auch meine Freunde nicht. Es gab immer eine Schicht, die weiter an dem hing, das ihnen etwas bedeutete.
    Ich behaupte immer, ich war von meiner Geburt an Feministin. Von klein auf habe ich mich sehr mit meiner Mutter identifiziert. Ich übernahm diese Art von Toleranz und den Wunsch, sich in andere Lebensbereiche einzufühlen. Auch meine Mutter las Romane gern. Romane stellen völlig andere Lebenszusammenhänge dar. Wenn man früh ungezählte Romane aus den verschiedenen Ländern liest, dann merkt man, wie unterschiedlich die Art des Denkens, die Art des Lebens, die Art des Miteinanderseins ist. Angeblich gibt es ja keine menschlichen Rassen, es gibt nur die Menschenart des Homo sapiens, die unterschiedlich ausgeprägt ist.
    So wie meine Mutter mich über das, was wesentlich im Erwachsensein ist, aufgeklärt hatte und meine Lehrerin in der Schule mir plötzlich Welten der Literatur, der Kritik, der Kunst eröffnete, hat mir später die Psychoanalyse einen neuen Schub gegeben. Zu sehen, was man wie bewerten soll, warum man es wie bewerten soll, das hat mir die Psychoanalyse gebracht. Da konnte ich plötzlich Dinge in mir besser verstehen. Ich konnte sehen, warum ich mich in bestimmten Situationen damals so und nicht anders verhalten hatte und was es bedeutet, dass ich auf bestimmte Weise gedacht und reagiert hatte, weshalb ich unter Schuldgefühlen leide, wo es eigentlich absurd ist, mir etwas vorzuwerfen, und weshalb ich da keine Schuldgefühle habe, wo ich eigentlich welche haben sollte. Ich erhielt Aufklärung über mich, meine Seele, meine Art zu reagieren, warum ich dieses aufgenommen und jenes abgelehnt habe. Warum mein Lebensweg diesem Pfad folgte und nicht jenem, das hat mit dem Einfluss der Psychoanalyse auf mich zu tun.
    Ich finde das Älterwerden doch sehr mühsam, weil mein Körper nicht mehr mitmacht. Ich hatte immer ungeheure Lust an Bewegung. Ich bin gern Ski gelaufen, und ich liebte es zu laufen. Als ich Kind war, sagte man, wenn meine Mutter und ich spazieren gingen, ihr geht ja nicht spazieren, ihr lauft spazieren. Ich hatte einen Körper, der mir selbstverständlich zur Verfügung stand. Ich konnte reisen, wohin ich wollte, den Koffer packen und weg. Das kann ich alles nicht mehr. Ich bin an meine Wohnung gebunden. Ich bin zwar öfter in meinem Ferienhaus, aber ich muss immer jemanden haben, der mit mir fährt. Ich bin nicht

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