Eine Liebe zu sich selbst, die glücklich macht (German Edition)
stammenden fünf Kindern. Mein Vater war zwar als Arzt nach außen hin bekannt, deutlich das Oberhaupt der Familie, aber drinnen herrschte die Mutter. Mit zunehmendem Alter wurde er mehr und mehr ihr Kind, wie es so häufig der Fall ist. Schon wegen ihrer Wärme und Einfühlung hingen alle Kinder mehr an ihr als am Vater, der dazu neigte, egozentrisch um die eigenen Bedürfnisse, Leiden und Sorgen zu kreisen. Dieses Gefühl, von ihr weitgehend verstanden zu werden, wie auch ihre Heiterkeit wogen alles andere auf.
Meine Mutter sah sich als emanzipierte Frau, war lange berufstätig gewesen, hatte studiert. Ihre Freundinnen, von denen viele unverheiratet blieben, waren meist berufstätig und beispielsweise Anhängerinnen Gertrud Bäumers und der von ihr verkörperten Strömung der bürgerlichen Frauenbewegung, was letzten Endes hieß und zur Folge hatte: Anpassung an bestehende Verhältnisse und konservativ nationale Gesinnung. Dennoch: Im Vergleich zu anderen Ehefrauen der Ärzte und Akademiker am Ort war meine Mutter wohl tatsächlich emanzipiert. Sie las viel, war recht gebildet, an manchen geistigen und politischen Themen lebhaft interessiert. Und dennoch ging von ihr und ihren Freundinnen zweifellos auch eine klassenbeschränkte konservative Stimmung aus.
Ich habe meine Mutter schon als kleines Mädchen – und mehr noch, als ich in die Nähe der Pubertät kam – oft gefragt, warum sie um Gottes willen meinen Vater geheiratet hatte, den ich als ihr weit unterlegen empfand. Ich wollte, so betonte ich immer wieder, überhaupt nicht heiraten, das sei doch »reine Prostitution«, man schlafe mit dem Mann, nicht weil man ihn liebe, sondern weil er einem ökonomisch und gesellschaftlich Sicherheit biete.
Diese Themen, die ich immer wieder aufbrachte, hatten auch in ihrer Rigorosität wahrscheinlich den mir damals nicht bewussten Zweck, meine Mutter zu kränken und ihr die Verachtung heimzuzahlen, die sie meiner kindlichen Sexualität entgegenbrachte und derentwegen sie mir zu viele Schuldgefühle aufgeladen hatte. Dennoch empfand sie wahrscheinlich – trotz aller Identifikation mit vielen der bürgerlichen Vorurteile ihrer Umwelt – mit meiner Verachtung und Verspottung dieser Welt im Grunde auch Sympathie; auch sie war nicht ohne revolutionäre Bedürfnisse. Mit meiner Auflehnung war es zudem so weit nicht her, denn faktisch war ich an die Gesetze des Anstands, an das Verständnis der weibliches Rolle viel mehr gebunden, als ich es wahrhaben wollte.
Immerhin war es dann auch meine Mutter, die später darauf drang, dass ich mich frühzeitig vom Elternhaus – und damit von ihr – löste, um in einer nahegelegenen Stadt in Pension zu gehen und dort mein Abitur zu machen. So schmerzlich diese Trennung für mich anfangs war – ohne sie wäre ich wahrscheinlich nie selbständig geworden und hätte nie die notwendige Trauer und Ablösung von einer geliebten Person zu ertragen gelernt.
Aber das ist nicht mehr das kleine Mädchen, von dem es hier zu erzählen gilt. Was könnte ich noch von ihm berichten? Körperliche Angst lernte ich erst in der Pubertät kennen, vorher war mir kein Baum zu hoch, um ihn zu erklettern, kein Sprungbrett zu gefährlich, um von ihm aus ins Wasser zu springen etc. Dennoch kannte ich Angst sehr wohl, da gab es die Angst vor der Dunkelheit, die mich oft überwältigte. Abends in ein dunkles Zimmer oder gar in den Keller zu gehen war mir äußerst unangenehm.
Da gab es auch die Angst vor Hunden und, last not least, die vor Spinnen. Wenn ich bei meinen Klettereien plötzlich auf eine Spinne stieß, kam es vor, dass ich mich mit einem lauten Schrei einfach herunterfallen ließ. Auch hatte ich Angst vor meinem um weniges älteren Bruder, der sehr eifersüchtig war, weil er glaubte, die Mutter bevorzuge mich, und deshalb jede Gelegenheit nutzte, mich zu prügeln. Erst später kam die Angst vor der Angst zu den vielen anderen Ängsten dazu, in der frühen Kindheit hatte sie durchaus noch unmittelbare Objekte und Inhalte, auf die sie sich bezog.
Vor allem aber hatte ich eben Angst vor der Trennung von meiner Mutter. Ich war eindeutig ein Mutterkind, auch wenn ich gleichzeitig schon früh die Neigung zum Weglaufen oder auch zur Erkundung der näheren und weiteren Umgebung zeigte und damit die Eltern oft ängstigte. Wenn die Mutter nur einen Tag in die nahegelegene Stadt fuhr, ich sie bei der Rückkehr aus der Schule zu Hause nicht vorfand, wurde ich weinerlich, zog mich zurück und litt unter
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