Eine Liebe zu sich selbst, die glücklich macht (German Edition)
oft beobachten konnte, oder eine Frau wendet ihren Zorn in masochistischer Leidensbereitschaft gegen sich selbst. Sie verbündet sich dann innerlich mit den Vorstellungen des Mannes, dass es doch rechtens sei, wenn ausschließlich er sich umfassend verwirklicht und seine Bedürfnisbefriedigung ungehemmt durchsetzt.
»Die Mutter ist an allem schuld«, diese so oft vertretene Auffassung konnte auch ich, trotz aller Liebe zu meiner Mutter, unbewusst über lange Zeit nicht ganz überwinden. Von ihr verlangte ich Vollkommenheit und Verzicht auf eigene Bedürfnisse. Dass keine Mutter, wie überhaupt kein Mensch, fehlerfrei ist und deswegen nie »ideal« sein kann, will bis heute so mancher nicht einsehen. Das »Drama des begabten Kindes« [111] ist im Grunde ein »Drama der überforderten, in ihren Fähigkeiten gehemmten Mutter«, von der Einfühlung ohne Ende und ohne Einschränkung verlangt wird; Eigenschaften, die man ihr selber aber vorenthält. Das Kind ist eher bereit, die Fehler des Vaters zu verzeihen, mit denen es später als mit denen der Mutter konfrontiert wird (obwohl das Kind sich auch vom Vater abzuwenden pflegt, wenn dieser seine Idealisierungsbedürfnisse nicht befriedigen kann). Rückblickend kann ich es beispielsweise schlecht nachempfinden, warum ich für den psychischen Zusammenbruch meines alternden Vaters – nach dem Verlust seiner »Familienehre« und seiner finanziellen Sicherheit – nicht mehr Verständnis aufbrachte und weshalb ich mich innerlich so geschockt von ihm abwenden musste. Auch muss ich mich über mich selber wundern, dass ich den Ängsten meiner Mutter und ihrer moralischen Intoleranz gegenüber der Sexualität, die sie von der sie umgebenden Gesellschaft übernommen hatte, auch noch als Erwachsene nur mit so wenig Empathie, nur mit Schuldgefühlen und untergründiger Wut begegnen konnte.
Man muss sich wohl damit abfinden, dass Einfühlung in und Reflexion über die Situation der Eltern, die ein Kind nicht zu leisten vermag, auch dem Erwachsenen noch schwerfallen. Um zu einer überlegeneren Einstellung fähig zu werden, ist Nachdenken, insbesondere über unsere Situation als Frau, bitter notwendig. Denn bis heute geschieht es – auch von feministischer Seite – immer wieder, dass der Mutter die Schuld für alle eigene Fehlentwicklung zugeschoben wird.
Ich behaupte immer, ich war von Geburt an Feministin
Mein jetziges Lebensgefühl ist naturgemäß sehr unterschiedlich. Wenn ich arbeite, denke, schreibe, Vorträge halte oder etwas gelesen habe, was ich wirklich verstanden habe und wodurch sich eine neue Sicht der Dinge entwickeln konnte, dann geht es mir gut. Körperlich bin ich doch sehr schwach. Das beeinträchtigt mich, denn die Lust, den Körper ganz selbstverständlich zu bewegen und zu beherrschen, ist durch nichts zu ersetzen. Aber mein Leben ist doch sehr reich dadurch, dass es noch so viel zu entdecken gibt. Ich überlege oft, wie es wäre, noch einmal 20 oder 15 mit der heutigen Erfahrung zu sein. Man weiß am Ende seines Lebens genug, um wissen zu wollen. Ich würde ganz anders lernen, ganz anders die Welt sehen können, Dinge entdecken können. Goethe hat diese berühmten, für mich eindrucksvollen Worte gesagt: »Wer nicht von dreitausend Jahren sich weiß Rechenschaft zu geben, bleibt im Dunkeln – unerfahren, mag von Tag zu Tage leben.« [112] Ich war zweimal in Ägypten und bin durch diese Reisen angestoßen worden, mehr über die allerersten Sprachen und über diese unglaubliche Kultur zu erkunden. Seitdem würde ich gerne mehr erfahren, um zu erkennen, wie in vielem ähnlich und wie in vielem durch den jeweiligen Zeitgeist unterschiedlich die Menschen damals von uns heute waren. Damit würde ich furchtbar gerne noch einmal anfangen, um wirklich lernend zu begreifen – und das in viel größerem Ausmaße, als ich das in diesen paar Jahren, die ich noch zu leben habe, werde tun können.
Ich frage mich, ob sich mein Selbstverständnis im Laufe meines Lebens verändert hat. Ich blicke ja auf fast ein Jahrhundert zurück. Ich bin in eine relativ aufgeklärte Zeit hineingeboren worden. Dänemark hatte eine Kultur, die schon sehr offen für die Neuzeit war. Es war ein modernes Land mit dem Wissen der Moderne, mit der Art der Psychologie, auch sich selber gegenüber distanziert und ironisch zu sein. Außerdem hatte ich eine sehr gebildete Mutter. Ich habe schon in der Kindheit viel gelesen, worin ich durchaus auch unterstützt wurde. Was sich sicher geändert hat,
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