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Eine Liebe zu sich selbst, die glücklich macht (German Edition)

Eine Liebe zu sich selbst, die glücklich macht (German Edition)

Titel: Eine Liebe zu sich selbst, die glücklich macht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margarete Mitscherlich
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Leitvorstellungen zu sehen, wie sie unübersehbar und seit langem bereits für den Mann unserer westlichen Kultur gelten. Geht es also lediglich um eine Angleichung weiblicher an männliche Leitvorstellungen? Psychoanalytisch spricht man bei Angleichung des Machtlosen an Herrschaft ausübende Schichten und deren Leitvorstellungen von »Identifizierung mit dem Aggressor« [54] . Dann hätten aber phallisch-narzisstische Ideale wieder einmal den Sieg davongetragen. In ihrer falschen Identifikation hätte die Frau es dann versäumt, die »mütterlichen« Fähigkeiten der Einfühlung, Rücksicht, liebevollen Hilfsbereitschaft als vorbildlich für beide Geschlechter aufzurichten. Dennoch, das Buch Der kleine Unterschied … vermittelt manches Wissenswerte über die Haltung der Frau in unserer Zeit, die Gespräche sind aufschlussreich, die Fähigkeit der Frauen, ihre Lage zu reflektieren, hat seit den Zeiten von Deutsch offensichtlich zugenommen. Die hilflose und defensive Reaktion der Männer auf diese Befreiungsversuche wirkt erschütternd und fordert im Grunde das Mitleid heraus.
    Wie schon Helene Deutsch ist Alice Schwarzer überzeugt, dass es die Sexualität ist, die die Unterdrückung der Frau verewigt. Bei beiden stehen Psychologie und Physiologie, das Erleben und die psychische Verarbeitung der weiblichen Sexualvorgänge im Mittelpunkt des Interesses. Beide fragen, ob es einen vaginalen Orgasmus gebe. Ist sein Fehlen ein Zeichen weiblicher Minderwertigkeit? Nach Schwarzer gibt es den vaginalen Orgasmus überhaupt nicht, auch wenn einige ihrer Gesprächspartnerinnen angeben, solche Empfindungen durchaus erlebt zu haben. Die Kohabitation solle nur zum Zwecke des Kinderkriegens stattfinden. Sexuell viel befriedigender sei zumindest für die Frau der oral-genitale Verkehr oder die manuelle Reizung der Klitoris. Schwarzer ist der Überzeugung, dass die Verständigung von Frauen untereinander auch im Sexuellen größer und eher befriedigend sei als die zwischen den Geschlechtern.
    Helene Deutsch kommt zu dem Schluss, dass die meisten Frauen keinen vaginalen Orgasmus erleben. [55] Die weibliche Form der Sexualität bestehe in einer langsamen und milden Entspannung nach dem Verkehr. Allerdings stellt sie dann doch, insbesondere im Kapitel über klimakterische Beschwerden, Frauen dar, die einen vaginalen Orgasmus in vollem Umfang erleben. Nachdem sie erfahren musste, dass auch psychotische Frauen intensive vaginale Orgasmen erleben, während manche gesunde und liebesfähige Frau den vaginalen Orgasmus nicht kennt, gab sie es endgültig auf, ihn als Zeichen psychischer Reife und Gesundheit zu bewerten. Neuere Untersuchungen haben mittlerweile zweifelsfrei ergeben, dass die psychosexuelle Reife nicht, wie als Erster Freud für die Psychoanalyse forderte, an der Fähigkeit zum vaginalen Orgasmus zu messen ist. Der sexuelle Ehrgeiz, die Besessenheit von sexueller Leistung, die Überbewertung des ausschließlich vaginalen Orgasmus werden gleichermaßen von Helene Deutsch wie von den verschiedenen feministischen Autoren der Gegenwart zu Recht kritisiert. Indem sich die Frau dem Meinungsdiktat vom rein vaginalen Orgasmus als Zeichen wahrer Weiblichkeit unterwarf, ging es ihr in dieser Hinsicht eher noch schlechter als vorher. Die viktorianische Frau brauchte sich ihrer Frigidität nicht zu schämen, sie entsprach – wie die gesellschaftliche Ungleichheit der Frau – den überlieferten normativen Vorstellungen. Die Zahl frigider Frauen ist seither nicht kleiner geworden, aber jetzt trifft dieser Mangel das Selbstgefühl der Frau besonders empfindlich.
    Wenn heutzutage manche Feministinnen in Helene Deutsch die Vertreterin einer reaktionären Frauenideologie sehen und ihr übelnehmen, dass sie die Mutterrolle idealisiert und die masochistischen Unterwerfungshaltungen der Frauen als »typisch weiblich« bezeichnet, sollte weder das Zeittypische solcher Vorstellungen übersehen noch die persönliche Lebensgeschichte vernachlässigen, die Deutschs Ansichten prägten. Helene Deutsch kann nicht zu den konservativen oder gar reaktionären Frauengestalten ihrer Zeit gerechnet werden, im Gegenteil. Ihre Vorbilder waren Frauen, nach deren Ansicht sich der Kampf um die Rechte der Frau nicht von den allgemeinen sozialistisch revolutionären Zielen trennen ließ.
    An den Zielen scheiden sich nach wie vor die Geister. Für viele Feministinnen ist die Sexualität der Ort, an dem sich die Unterdrückung der Frau abspielt. Andere, dem Sozialismus

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