Eine Liebe zu sich selbst, die glücklich macht (German Edition)
nahestehende Frauen sehen im Feminismus eine Ablenkung von politischen Zielen. Der Geschlechterkampf würde die Gesellschaft nicht grundlegend bestimmen und lenke nur von den eigentlichen revolutionären Aufgaben ab. Das möchte ich entschieden bezweifeln. Zu einer tiefergehenden gesellschaftlichen Veränderung im Sinne größerer Humanität gehört unabdingbar – und da haben die Feministinnen eine nicht zu überschätzende Aufgabe zu erfüllen – eine Veränderung in der Beziehung der Geschlechter zueinander. Diese wird nicht nur durch bessere ökonomisch-soziale Bedingungen zu erreichen sein. Erst das In-Frage-Stellen des eigenen Verhaltens, der vorherrschenden Ideale, vor allem aber die Kenntnis der unbewussten Motive des Handelns wird uns vor dem Zwang bewahren können, unter äußerlich veränderten und günstigeren Verhältnissen Gleiches stereotyp zu wiederholen.
Gretchen gestern und heute
Flucht in den Mord – Margaretha Brandt tötet ihr Kind nach der Geburt
Die als Kindsmörderin im Januar 1772 hingerichtete Susanna Margaretha Brandt ist ein Kind ihrer Gesellschaft, die ohne Einschränkung patriarchalisch-hierarchisch gegliedert war. Frauen waren rechtlos. Wenn sie aus den unteren Schichten stammten, gab es für sie keine Chance auf Verständnis und Einfühlung für tragische Situationen, die die Folge ihres Frau-Seins und ihrer Herkunft waren. Die Zeit, in der Margaretha lebte, pflegen wir als Zeit der Aufklärung zu bezeichnen. Das Wissen, die Erkenntnisse der Aufklärung drangen jedoch nicht bis in ihre Welt vor. Bildung gab es nur für die oberen Schichten und auch dort weit mehr für Männer als für Frauen. Aber auch den gebildeten Männern, die in diesem Prozess das Sagen hatten, sind Sprache und Denken der Aufklärung fremd geblieben.
Der Prozess gegen Margaretha Brandt erstreckt sich vom August 1771 bis zum Januar 1772. Am 14. Januar 1772 wird das Todesurteil an der Kindsmörderin vollstreckt. Die Hinrichtung findet auf der Hauptwache im Zentrum Frankfurts statt, der Urteilsspruch lautet: »Tod durch das Schwert«, das Todesurteil wird vom Scharfrichter »durch einen Hieb glücklich und wohl vollzogen«, wie es in den Prozessakten heißt. An der Hinrichtung nahmen zahlreiche Menschen teil, für die Frankfurter war es eine Art Volksfest.
Auch Goethe war Zeuge dieses Prozesses. Es scheint erwiesen zu sein, dass das Schicksal der Susanna Margaretha das Vorbild für die Gretchen-Tragödie im Faust gewesen ist. Mehrere Verwandte Goethes waren direkt oder indirekt am Prozess, dem Todesurteil und dessen Vollstreckung beteiligt. In Goethes Autobiographie Dichtung und Wahrheit heißt es: »… es fehlte mitten in der bürgerlichen Ruhe und Sicherheit nicht an gräßlichen Auftritten. Bald weckte ein näherer oder entfernter Brand uns aus unserm häuslichen Frieden, bald setzte ein entdecktes großes Verbrechen, dessen Untersuchung und Bestrafung die Stadt auf viele Wochen in Unruhe. Wir mußten Zeugen von verschiedenen Exekutionen sein …« [56] Zur Zeit des jungen Goethe gab es in Frankfurt außer der von Margaretha Brandt – Goethe war damals 22 Jahre alt – noch eine zweite Exekution, und zwar im Jahre 1758; da war Goethe neun Jahre alt. Vier Jahre vor seiner Geburt hatte 1745 eine weitere Exekution stattgefunden. In beiden Fällen handelte es sich, wie bei Margaretha Brandt, um ledige junge Frauen, die als Kindsmörderinnen zum Tode verurteilt wurden. Bei den Opfern, die, soweit bekannt, im 18. Jahrhundert in Frankfurt hingerichtet wurden, handelt es sich also nur um Frauen aus den unteren Schichten, die sich offenbar in ausweglosen Situationen befanden. (Liest man zum Vergleich die Biographie Goyas, so sind für Spanien 1772, also in der Zeit der Hinrichtung Margaretha Brandts, aber natürlich auch vorher viele grausame Exekutionen bekannt, die wie in Frankfurt vom Volk gefeiert wurden. Aber soweit ich das überblicke, handelte es sich immer um Männer, die als Aufständische oder Anführer einer Räuberbande im Kampf gegen die korrupte Herrschaft des Königshofs, des Adels und der Kirche das Land durchzogen.)
Obwohl Margaretha Brandt also 1772 in Frankfurt zur Zeit der Aufklärung hingerichtet wurde, blieb das Denken ihrer Zeit ohne Einfluss auf die Prozessführung und das Urteil, das über sie und ihre Tat gefällt wurde. [57] Wer war Margaretha Brandt? Sie war 24 Jahre alt, als sie starb, stammte aus der untersten Schicht einer im Frankfurt dieser Zeit äußerst hierarchisch
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