Eine Lüge macht noch keine Liebe! (German Edition)
das Fenster
herunter.
Ein alter, braungebrannter Mann
mit unzähligen Runzeln im Gesicht murmelte ein paar Worte in einem Dialekt, von
dem Lara nicht eine einzige Silbe verstand, und streckte die Hand zum Fenster
hin. Alessandro antwortete ebenso unverständlich und reichte ihm ein paar
Münzen, dann konnten sie passieren.
„Das war der Brückenwart“,
erklärte er ihr, während das Auto langsam und behutsam über die dumpf
klappernden Bohlen rumpelte und auf der gegenüberliegenden Seite das Ufer
hinauffuhr. „Jedes Fahrzeug, das die Brücke überquert, hat je nach Größe einen
bestimmten Betrag zu zahlen. So finanzieren sie sich.“
Lara wandte den Kopf und sah
zurück. Diese Brücke war wirklich mehr als abenteuerlich!
„Und was ist, wenn mal ein Schiff
da hindurch muss?“
„Man kann sie in der Mitte
öffnen. Sie machen sie auch auf, wenn der Wasserstand über einen bestimmten
Pegel steigt, um zu verhindern, dass die Konstruktion beschädigt wird, zum
Beispiel durch Treibgut.“
Die andere Seite des Flusses
präsentierte sich in ebenso verhangenen Spätherbstfarben wie die, die sie
hinter sich gelassen hatten.
„Sieh mal da!“, er deutete in ein
Feld rechts von ihr, „das ist ein Silberreiher!“
„Schön“, entfuhr es ihr
bewundernd. Sie passierten abgeerntete Maisfelder und jede Menge Kanäle. Die
gesamte Gegend war durchzogen von einem Netzwerk endloser Wasseradern, die sich
in rechten Winkeln kreuzten, voneinander abzweigten, sich verbanden und wieder
voneinander weg führten.
Ihr Weg führte sie noch über eine
zweite Bootsbrücke, die ein Stück weiter östlich den nächsten Flussarm überspannte.
Dann gelangten sie schließlich ans Meer. An einer Straßenausbuchtung, an der
ein großes Holzkruzifix stand, stellte Alessandro den Wagen ab und sie stiegen
aus. Ein kühler Wind wehte von der offenen See zu ihnen herüber und Lara zog
den Reißverschluss ihrer Windjacke höher.
„Ist das schön hier“, murmelte
sie gedankenverloren. Alessandro sah sie von der Seite an. Ihr Haar wehte im
Wind, ihre Wangen waren gerötet und sie kniff die Augen ein wenig zusammen, um
sie vor dem Wind zu schützen. Ein paar Minuten standen sie schweigend und
betrachteten das Meer, das kleine Schaumkronen auf den Wellenkämmen trug.
„Komm, wir fahren weiter“,
ermunterte er sie, „es wird dir sonst zu kalt.“
Sie blieben auf der Straße, die
zwischen den Feldern und dem Meer entlang führte. Lara deutete auf lange Reihen
von Holzpfählen, die nebeneinander aus dem Wasser ragten. „Was ist das?“
„Das sind Muschelbänke. Hier
werden Miesmuscheln gezüchtet. Wenn sie eine bestimmte Größe erreicht haben,
werden sie herausgeholt und auf Schiffe oder Lastwagen verladen. Die bringen
sie dann auf die andere Seite der Adria, wo sie weiter wachsen, bis sie eine
verkaufsfähige Größe erreicht haben.“
„Warum lässt man sie denn nicht
hier?“
„Weil dort die Wasserqualität
besser ist. Sie wachsen schneller und bringen früher Geld.“
Angesicht dieser Reise, die die
Schalentiere nahmen, fragte sie sich, wie man sie überhaupt zu bezahlbaren
Preisen auf den Markt und auf die Tische der Restaurants bringen konnte.
„Ist das ein herrlicher Anblick.
Sieh doch nur, dieses Grün auf der einen Seite und da das blaue Meer!“
„Du solltest im Sommer hier sein,
dann sind die Farben noch viel schöner und satter. Jetzt wird es bald Winter
und die meisten Felder sind nur noch braun.“
„Es gefällt mir trotzdem.“
„Diese kahle, flache Gegend
gefällt dir? Warum?“
„Eben weil sie so flach ist. Man
kann so weit sehen, wie das Auge reicht, es gibt keine Grenzen und Hindernisse,
nichts hält den Blick auf. Das ist so frei und das gefällt mir.“
„Langweilst du dich denn noch
nicht? Wie lange bist du eigentlich schon hier?“
Sie rechnete kurz nach. „Etwas
mehr als drei Wochen. Zu kurz, um mich schon zu langweilen. Und außerdem kann
ich mir nicht vorstellen, dass man sich hier überhaupt langweilen kann. Es gibt
doch so wahnsinnig viel zu sehen!“
„Für jemanden, der hier nicht
seinen Lebensunterhalt bestreiten muss und abreisen kann, wann er möchte schon.
Wer hier lebt, sieht das eben etwas anders.“
Sie warf ihm einen forschenden
Blick zu, den er auffing und mit einer kleinen Grimasse beantwortete.
„Das Leben hier ist hart. Wenig
Arbeitsplätze, viel Nebel im Winter, im Sommer unendlich viele Mücken.“
„Das glaube ich“, meinte sie
teilnahmsvoll. Natürlich, aus der
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