Eine magische Nacht. Roman
unter die Lupe nahm, ihre Patienten befragte, ihre Schwester aushorchte. Er suchte einfach irgendwas, um ihr ein Bein stellen zu können.
Geduld, Janelle. Er wird sich schon rechtzeitig wieder einkriegen,
sagte sie sich.
Das Mädchen vor ihr sah sie zweifelnd an. »Mehr kann ich wohl nicht tun, schätz ich mal.«
Janelle beruhigte Geist und Hände und beugte sich vor, um vorsichtig den ersten Stich anzubringen. Ein dumpfes Geräusch über ihrer Schulter lenkte sie jedoch davon ab, und als sie aufsah, stellte sie fest, dass ihre Patientin kalkweiß im Gesicht war. »Alles in Ordnung mit Ihnen?«
Schwach sackte der Teenie in sich zusammen und schüttelte den Kopf. Schwindlig geworden, wankte sie Janelle entgegen, wobei die Wange ihre Stirn streifte.
Sofort erfuhr Janelle einen Andrang von Übelkeit, Beschämung und Angst, plus einen schwachen Schmerz unter der leichten örtlichen Betäubung. Sie identifizierte den Punkt der Disharmonie und brachte, ohne es eigentlich zu wollen, widerstrebend wieder alles in Ordnung, auch wenn ihr nicht wohl dabei war und sie einfach nur nicht anders konnte. Das Mädchen hatte sich dabei stöhnend zurückgelehnt und starrte die Decke an.
Janelle fühlte die Angst im Bauch wachsen. Sie sah nach unten auf die Wunde … die verschwunden war. Na klar. Nur eine dünne rosa Linie war noch vorhanden, und selbst die würde nur allzu bald verblassen.
Okay, das war nicht gut. Nun, natürlich war es gut, dass das Mädchen geheilt war, aber auch absolut ungut, weil es diesmal keinerlei logische Erklärung dafür gab. Schreikinder konnten sich auf mysteriöse Weise beruhigen. Gallensteine, die niemand gesehen oder diagnostiziert hatte, konnten sich auf mysteriöse Weise auflösen, und wahrscheinlich würde niemand danach fragen. Aber eine klaffende Wunde, die verheilte, bevor sie überhaupt dazu gekommen war, sie zu nähen? Das war heikel.
Und – o nein! Das Tattoo war verschwunden! Nicht dass für einen Arzt die Vorstellung sonderlich erhebend wäre, dass sich eine Patientin in den Händen eines wenig qualifizierten Tattoo-Künstlers dem Risiko einer Infektion und Erkrankung aussetzen könnte … aber das Tattoo war verschwunden! Die Kleine würde ausflippen. Janelle hatte das Tattoo einfach »weggeheilt«. Die Haut war jetzt weich wie ein Babypopo, und es gab nicht das geringste Anzeichen dafür, dass je eine Nadel die Wade des Mädchens berührt hatte. Wie um Himmels willen sollte sie das erklären?
Janelles Gedanken rasten. »Ähem. Schauen Sie nicht hin. Richten Sie die Augen einfach auf etwas anderes, und gleich wird es Ihnen bessergehen. Abgemacht?« Schnell legte sie Verbandsmull auf die mit Jod befleckte Haut und klebte ihn fest. Aus Panik und als völlig verzweifeltes Pflaster für ihre eigene Situation ließ sie das Ende eines langen Klebestreifens die Stelle bedecken, wo vorher das Tattoo war. »Diese Fäden lösen sich auf. Sie sind wirklich phantastisch. Und hinterher kann man fast nichts mehr sehen.«
»Sie sind schon fertig?« Das Mädchen klang zugleich verblüfft und hoffnungsvoll.
»Jawohl. Vielleicht waren Sie kurz bewusstlos und haben nicht alles mitbekommen, benebelt, wie Sie waren. So etwas kommt schon mal vor. Seien Sie einfach dankbar dafür und lassen Sie den Verband so lange wie möglich auf der Wunde.« Damit würde sie wenigstens etwas Zeit gewinnen. »Wenn Sie ihn dann schließlich wechseln, sollten Sie sich weder ängstigen noch besonders sorglos sein, falls auf den ersten Blick nichts mehr zu sehen ist. Die Stiche sind klein, und ich habe sie ganz schön vorsichtig gesetzt.« Lüge, Lüge, Lüge. Aber was blieb ihr sonst übrig? »Ich habe auch ein paar moderne Antibiotika eingesetzt, die dabei helfen werden, die Bildung irgendwelcher Narbengewebe zu reduzieren. Ehe Sie sich versehen, werden Sie wieder wie neu sein.« Und war das etwa nicht die Wahrheit? »Nun tun Sie sich selbst und Ihrer Ärztin einen Gefallen und denken an den Knie- und Ellbogenschutz und setzen auch einen Schutzhelm auf, wenn Sie das nächste Mal Skateboard fahren, okay?«
Das Mädchen nickte reumütig.
Mit blank liegenden Nerven und schäumendem Adrenalin in den Adern erhob Janelle sich vom Stuhl und streifte in einer geübten Bewegung die Handschuhe ab. Während ihr die Gedanken im Kopf schwirrten, schrieb sie ein paar leichte Medikamente auf – rein vorsorglich – und legte das Rezept neben das Mädchen auf den Tisch. »Nehmen Sie das mit, wenn Sie rausgehen. Die Schwester
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