Eine Messe für all die Toten
aufgetürmten
Münzen wie der Bischof bei der Einsegnung über die Häupter seiner Konfirmanden.
«Irgendwann müssen Sie sich doch auch mal
verrechnen, Josephs, oder nicht? Bin gespannt, wann Sie mich damit überraschen.»
Josephs warf dem Pfarrer einen raschen Blick zu,
aber der setzte gerade seine Unterschrift an den rechten Rand des Kirchenbuches
und machte ein harmlos-freundliches Gesicht.
Zusammen packten sie das Geld in eine
abgegriffene Keksdose von Huntley & Palmer, für so viel Geld ein recht
ungeeignetes Behältnis. Doch als bei einer der letzten Sitzungen des
Gemeindekirchenrats Sicherheitsprobleme zur Sprache gekommen waren, hatte
niemand eine bessere Lösung gehabt, wenn man von dem Vorschlag absah, sich
einer etwas moderneren Ausgabe der Dose zu bedienen, um den Eindruck
glaubhafter zu machen, der Blechkasten auf dem Rücksitz vonJosephs Allegro
enthalte nichts Wertvolleres als ein paar von der letzten
Gemeindeveranstaltungen übriggebliebene Ingwerplätzchen und Butterkekse.
«So, ich muß los, Herr Pfarrer. Die Frau wird
schon warten.»
Lawson nickte und sah seinem Kirchenältesten
nach. Ja, Brenda Josephs würde warten. Das mußte sie ja wohl. Vor einem halben
Jahr hatte Harry wegen Trunkenheit am Steuer vor Gericht gestanden, und
hauptsächlich Lawsons Vermittlung war es zu verdanken, daß der Richter ein
relativ mildes Urteil gefällt hatte — fünfzig Pfund Geldstrafe und
Führerscheinentzug auf ein Jahr. Die Josephs wohnten in Wolvercote, einem drei
Meilen nördlich von der Stadtmitte gelegenen Dorf, und dort waren Busse am
Sonntag seltener als Fünf-Pfund-Noten auf dem Kollekteteller.
Das kleine Fenster der Sakristei ging nach
Süden. Lawson setzte sich an den Schreibtisch und sah mit leerem Blick auf den
Friedhof hinüber. Krumm und schief standen die grauen, verwitterten Grabsteine
da, die Inschriften waren längst vermoost oder von Wind und Regen vieler
Jahrhunderte ausgewaschen. Man sah dem Pfarrer an, daß er Sorgen hatte. In der
heutigen Kollekte hätten zwei Fünf-Pfund-Noten sein müssen. War es denkbar, daß
Mrs. Walsh-Atkins doch einmal die Fünf-Pfund-Noten ausgegangen waren und sie
fünf einzelne Pfunde in die Kollekte gegeben hatte? Allerdings wäre das seit
vielen Jahren das erste Mal gewesen. Nein, es gab eine viel naheliegendere
Erklärung, die Lawson schwer zu schaffen machte. Doch noch blieb eine kleine
Chance, daß er sich irrte. «Richtet nicht, auf daß ihr nicht gerichtet werdet.»
Zumindest nicht bis zum Vorliegen eindeutiger Beweise. Er holte seine
Brieftasche hervor und nahm einen Zettel heraus, auf dem er sich heute früh die
Nummer der Fünf-Pfund-Note notiert hatte, die von ihm selbst in einen kleinen
braunen Umschlag gesteckt und in die Kollekte gegeben worden war. Erst vor zwei
oder drei Minuten hatte er die letzten drei Zahlen der Fünf-Pfund-Note geprüft,
die Harry Josephs in der Keksdose verstaut hatte. Sie stimmte nicht mit den
Endziffern überein, die auf seinem Zettel standen. Damit hatte sich der
Verdacht bestätigt, den Lawson schon seit etlichen Wochen hegte. Natürlich
hätte er Josephs an Ort und Stelle auffordern sollen, seine Taschen
auszuleeren. Es wäre seine Pflicht gewesen, als Priester und Freund (Freund?),
denn Josephs mußte die Fünf-Pfund-Note, die er aus dem Opfergeld gestohlen
hatte, noch bei sich haben. Jetzt besah sich Lawson noch einmal die Zahl auf
seinem Zettel: AN 50 4055646. Dann hob er langsam den Blick und sah wieder auf
den Friedhof hinaus. Der Himmel hatte sich bezogen, und als er eine halbe
Stunde später das Pfarrhaus in der St. Ebbe’s Street betrat, lag Regen in der
Luft. Es war, als habe jemand die Sonne ausgeschaltet.
2
Harry Josephs tat, als schlafe er noch, hatte
aber sehr wohl gehört, wie seine Frau kurz vor sieben aufstand, und konnte ihre
Bewegungen präzise verfolgen. Sie hatte den Morgenrock übers Nachthemd gezogen,
war in die Küche hinuntergegangen, hatte den Kessel gefüllt und sich dann an
den Küchentisch gesetzt, um ihre erste Zigarette zu rauchen. Erst in den
letzten zwei, drei Monaten hatte Brenda wieder angefangen zu rauchen, was ihm
gar nicht paßte. Ihr Atem roch schal, und der Anblick eines Aschers voller
Stummel ekelte ihn an. Wer Sorgen hatte und nervös war, hieß es, rauchte viel.
Zigaretten waren ein Betäubungsmittel wie Aspirin oder Schnaps oder
Pferdewetten. Erneut von seinen eigenen Sorgen überwältigt, vergrub er den Kopf
im Kissen.
«Tee.» Sie stupste sanft seine
Weitere Kostenlose Bücher