Eine Messe für all die Toten
Beschwörung Brendas vermochte die
irrationale Eifersucht zu besänftigen, die in ihm brannte. Gewiß, er wollte
Harry Josephs aus dem Weg haben, das war ja verständlich. Aber erst vor kurzem
hatte er es fertiggebracht, sich der grausamen Realität zu stellen. Er wollte
Josephs nicht nur aus dem Weg haben, er wäre ausgesprochen froh über seinen Tod
gewesen.
«Bleiben Sie noch lange, Sir?»
Es war der Hausmeister, und den brachte man
zweckmäßigerweise nicht gegen sich auf. Es war Viertel nach vier, Peter würde
schon zu Hause sein.
Das traditionelle Abendessen am Freitagabend — Fish
and Chips, tüchtig mit Essig getränkt und mit Ketchup übergossen — lag hinter
ihnen. Sie standen zusammen an der Spüle, der Vater hatte das Abwaschen, der
Sohn das Abtrocknen übernommen. Morris hatte zwar lange und sorgfältig bedacht,
was er sagen würde, trotzdem fiel es ihm nicht leicht. Er hatte bisher noch
keinen Anlaß gehabt, mit seinem Sohn über Sex zu sprechen, aber jetzt ließ es
sich nicht mehr aufschieben. Nur zu deutlich erinnerte er sich noch daran (er
war damals erst acht gewesen), wie zu den beiden Nachbarsjungen die Polizei
gekommen und wie einer der Pfarrer seines Heimatortes vor Gericht gestellt
worden war. Und er erinnerte sich an die neuen Worte, die er damals gelernt
hatte. Auch seine Mitschüler hatten sie gelernt und lachten auf der Toilette
darüber. Schmierige Worte, die sich in seinem jungen Geist wie etwas Ekles
festgesetzt hatten.
«Ich schätze, daß wir uns so in zwei Monaten das
Rennrad für dich kaufen können.»
«Ehrlich, Dad?»
«Du mußt versprechen, sehr vorsichtig zu sein...»
Aber Peter hörte kaum hin. Seine Gedanken rasten
schon mit dem Rennrad um die Wette. Er strahlte.
«Wie meinst du, Dad?»
«Freust du dich auf den Ausflug morgen?»
Peter nickte — durchaus aufrichtig, aber ohne
übertriebene Begeisterung. «Nur die Rückfahrt ist bestimmt unheimlich öde, das
war letztes Jahr auch so.»
«Ich möchte, daß du mir etwas versprichst.»
Noch was? Und wie ernsthaft das klang... Peter
rieb ganz unnötigerweise immer wieder über den Teller, den er in der Hand
hielt. Er machte sich auf einen dieser vertraulichen Erwachsenensprüche gefaßt,
die ihm meist unwillkommen waren.
«Du bist noch jung, weißt du, auch wenn du
meinst, daß du schon ziemlich groß bist, und hast noch viel zu lernen. Es gibt
im Leben sehr nette Menschen, und es gibt andere, die sind nicht so nett. Sie
machen einen netten Eindruck, aber das täuscht.» Das klang fast rührend in
seiner Unzulänglichkeit.
«Meinst du Verbrecher?»
«Ja, in gewissem Sinne sind es Verbrecher. Ich
rede von Leuten, die innerlich verdorben sind. Sie verlangen nach seltsamen
Dingen. Sie sind nicht normal, sind nicht wie andere Menschen.» Er holte tief
Luft. «Als ich in deinem Alter war, sogar noch ein bißchen jünger...»
Peter hörte sich die kurze Geschichte
anscheinend ungerührt an. «Du meinst, er war schwul, Dad?»
«Ja, er war homosexuell. Weißt du, was das
bedeutet?»
«Klar.»
«Hör zu, Peter, wenn ein Mann jemals so was bei
dir versucht, läßt du es dir nicht gefallen, ist das klar? Und du sagst es
mir.»
Peter war ehrlich um Verständnis bemüht, aber
bei seiner begrenzten Erfahrung konnte er mit der Warnung nicht viel anfangen.
«Siehst du, Peter, es geht nicht nur darum, daß
ein Mann dich vielleicht — anfaßt (schon das Wort war unsagbar widerwärtig)
oder so. Manche Leute reden zuerst nur oder... oder zeigen einem Fotos oder...»
Peter blieb der Mund offen stehen. Das
sommersprossige Gesicht entfärbte sich. Das also meinte der Vater. Das letzte
Mal waren sie zu dritt vom Jugendklub aus zum Pfarrhaus gegangen und hatten auf
dem langen schwarzglänzenden Sofa gesessen. Es war alles ein bißchen sonderbar
und aufregend, und da waren diese Fotos. Großaufnahmen in Schwarzweiß, fast
schärfer als im richtigen Leben. Aber es waren nicht nur Fotos von Männern gewesen,
und Mr. Lawson hatte so — so natürlich darüber geredet. Und überhaupt... Am
Zeitungsstand hatte er solche Bilder schon jede Menge gesehen. Er wurde immer
ratloser, während er dort an der Spüle stand und noch immer das Handtuch
festhielt. Dann hörte er die Stimme seines Vaters, rauh und mißtönend, spürte
die Hand seines Vaters auf der Schulter, die ihn zornig schüttelte. «Dann sagst
du es mir. Hast du mich verstanden?»
Aber Peter sagte seinem Vater nichts. Er brachte
es nicht fertig. Und — was gab’s da
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