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Eine Messe für all die Toten

Eine Messe für all die Toten

Titel: Eine Messe für all die Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Dexter
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Ein
Paradebeispiel für eine hundertprozentig sichere Spurenbeseitigung.
Interessante Methode! Aber so glatt läuft die Sache nicht. Josephs muß gemerkt
haben, daß irgendwas mit ihm nicht in Ordnung ist, und ehe er in der Sakristei
zusammenbricht, kann er sich noch zum Vorhang schleppen und um Hilfe rufen.
Einige Gottesdienstbesucher haben ihn gehört. Aber da ist jemand, der die
Sakristei nicht aus dem Auge gelassen hat, nämlich Hochwürden Lionel. Sobald er
Josephs sieht, saust er wie von Furien gehetzt hin, ehe sich sonst jemand
rühren kann. Er stößt Josephs ein Messer in den Rücken, dreht sich zu seinen
Schäflein um und berichtet ihnen, daß Josephs in seinem Blut liegt.» Morse
beglückwünschte sich innerlich zu einem Bericht, der sehr viel farbiger und
dramatischer war als Bells prosaische Rekonstruktion.
    «Er wäre überall voller Blut gewesen», wandte
Lewis ein.
    «Bei dem Zeug, das er heute anhatte, wäre das
nicht weiter aufgefallen.»
    Lewis dachte an das Rot der Meßgewänder. Rot wie
Blut. «Aber warum hat er Josephs mit einem Messer den Rest gegeben? Der Mann
muß doch schon fast hinüber gewesen sein.»
    «Weil er Angst hatte, Josephs könnte ihn
beschuldigen. Das mit dem Gift hätte er sich bestimmt zusammengereimt.»
    «Aber die anderen doch wohl auch.»
    «Ja, aber wenn sie ein Messer in Josephs Rücken
sehen, fragen sie sich automatisch, wer das wohl angestellt hat.»
    «Und müßten dabei auf Lawson kommen. Schließlich
war es Lawsons Messer.»
    «Das wußte damals niemand», sagte Morse, in die
Defensive gedrängt.
    «Glaubt Bell, daß es sich so abgespielt hat?»
    Morse nickte.
    «Und Sie, Sir?»
    Morse schien ernsthaft über die Frage
nachzudenken. «Nein», sagte er schließlich.
    Lewis lehnte sich zurück. «Genaugenommen ist es
doch ziemlich unwahrscheinlich, daß ein Pfarrer ein Mitglied der eigenen
Gemeinde ermordet, wie? Im wirklichen Leben passiert so was nicht.»
    «Hoffentlich doch», sagte Morse leise.
    «Wie meinen Sie, Sir?»
    «Ich hoffe sehr, daß so was im wirklichen Leben
doch passiert. Sie haben mich gefragt, ob meiner Meinung nach Lionel Lawson
Josephs auf eine bestimmte Art und Weise umgebracht hat, und ich habe nein
gesagt. Allerdings glaube ich nach wie vor, daß Lawson der Täter war. Meiner
Ansicht nach hat sich aber die Tat weit unkomplizierter abgespielt. Er geht in
die Sakristei, ersticht Harry Josephs —»
    «— und geht wieder zurück.»
    «Genau.»
    Lewis richtete den Blick zur tabakgeschwärzten
Decke. War es denkbar, daß das Bier dem Inspector auf den Verstand geschlagen
war?
    «Vor der versammelten Gemeinde, ja?»
    «Nein, das nicht.»
    «Ach nein?»
    «Nein. Der Gottesdienst, bei dem Josephs
ermordet wurde, war in der Marienkapelle. Sie erinnern sich sicher, daß in der
Trennwand zwischen Kapelle und Chor ein Bogengang ist. Ich nehme nur an, daß Lawson
nach der Kommunion ein paar Sachen vom Altar in der Marienkapelle zum
Hauptaltar gebracht hat — das machte er wahrscheinlich häufig, also fiel es gar
nicht auf.»
    Lewis hörte kaum mehr hin. Der Wirt putzte die
Tische, räumte Gläser ab und leerte die Aschenbecher.
    «Ausgeheckt haben den Plan Hochwürden Lionel und
sein Bruder. An dem fraglichen Abend steckten sie beide in Priestergewändern.
Hochwürden Lionel verläßt kurz die Marienkapelle, aber der Mann, der
zurückkommt, ist nicht Hochwürden Lionel. Nur eine Handvoll alter Mütterlein
nehmen an der Messe teil. Der Mann, der in den entscheidenden Minuten vor dem
Altar steht, kniet und betet, ohne sich der Gemeinde zuzuwenden, ist Lawsons
Bruder Philip. Was meinen Sie, Lewis? Ob ihn jemand durchschaut hätte?»
    «Und wenn nun Philip Lawson eine Glatze hatte?»
    «Kaum, ob man eine Glatze kriegt, hängt vom
Großvater ab.»
    «Wenn Sie meinen, Sir.» Lewis wurde dieser
Hokuspokus um gedoppelte Kelche und gedoppelte Priester langsam unheimlich.
Außerdem zog es ihn nach Hause. Er stand auf und verabschiedete sich.
    Morse blieb, wo er war, und führte mit dem
Zeigefinger der Linken versprengte Biertröpfchen auf der Tischplatte zu einem
See zusammen. Seine Rekonstruktion des Mordes an Josephs befriedigte ihn
ebensowenig wie Lewis. Aber eins stand für ihn fest: Hier mußten etliche Leute
unter einer Decke gesteckt haben, und höchstwahrscheinlich waren die beiden
Brüder an dem faulen Zauber beteiligt. Aber wie? Minutenlang drehten Morses
Gedanken sich im Kreis. Zum tausendstenmal fragte er sich, wo er anfangen
sollte, zum tausendstenmal

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