Eine Messe für all die Toten
gehabt?»
«Vielleicht in einem dieser Ringe, die braucht
man bloß aufzuschrauben und —»
«Sie sitzen zuviel vor dem Fernseher», sagte
Morse.
«— und streut das Zeug in den Wein.»
«Es wäre dann ein weißliches Pulver gewesen,
Lewis, das sich nicht sofort auflöst. Der Pfarrer hätte es auf der Oberfläche
schwimmen sehen.»
«Vielleicht hatte er die Augen geschlossen. Der
ist doch ständig am Beten und so weiter, wenn —»
«Und Josephs? War der auch ständig am Beten und
so weiter?»
«Könnte doch sein.»
«Warum ist dann nicht Lawson vergiftet worden?
Es ist Sache des Pfarrers, den Wein auszutrinken, der noch im Kelch ist, und
Josephs war, wie gesagt, mit ziemlicher Sicherheit der letzte Kommunikant.»
«Vielleicht hatte Josephs alles ausgetrunken»,
meinte Lewis hoffnungsvoll. Dann blitzte es plötzlich erregt in seinen Augen
auf. «Oder vielleicht, Sir... vielleicht haben die beiden Lawson-Brüder unter
einer Decke gesteckt. Damit wären gleich ein paar Fragen auf einmal
beantwortet.»
Morse lächelte zufrieden. «Sie werden mit jedem
Tag gescheiter, Lewis. Macht wohl der Umgang mit mir.» Er schob sein Glas über
den Tisch. «Ihre Runde, nicht?»
Er sah sich in dem Pub um, während Lewis
geduldig am Tresen wartete. Es war halb zwei, und der sonntägliche
Mittagstrubel war auf seinem Höhepunkt angelangt. Ein Mann mit struppigem Bart
und langem Uniformmantel schlurfte herein und blieb etwas ängstlich am Tresen
stehen. Ein Mann mittleren Alters, wieder mit dieser Sonnenbrille, die nicht so
recht in die Landschaft paßte, eine leere Apfelweinflasche in der Hand. Morse
stand auf und ging zu ihm hinüber.
«Wir kennen uns doch?»
Der Mann sah Morse nachdenklich an und
schüttelte den Kopf. «Tut mir leid, Chef.»
«Das Leben meint’s nicht gut mit dir, was?»
«Nee.»
«Schon lange auf Achse?»
«Ziemlich am Ende.»
«Kanntest du einen Mann, der sich Swanpole
nannte?»
«Wüßt ich nicht.»
«Macht nichts. Ich frag nur, weil ich ihn
gekannt habe.»
«Ich kannte jemanden, der ihn gekannt hat»,
sagte der Penner leise.
«Ja?» Morse kramte in seinen Taschen und drückte
dem Mann ein Fünfzig-Pence-Stück in die Hand.
«Der alte Knacker, mit dem ich neulich
rumgezogen bin, der hat den Namen mal erwähnt. Swanny, so haben sie ihn genannt.
Aber der ist nicht mehr hier.»
«Und der alte Knacker?»
«Der ist gestorben. Gestern. Lungenentzündung.»
«Ach so.»
Morse ging nachdenklich an seinen Tisch zurück
und beobachtete ein paar Minuten später mit einigem Bedauern, wie der Wirt dem
Penner die Tür wies. An diesem Nachmittag würde es keinen Apfelwein geben, den
man langsam auf einer Parkbank trinken konnte. Jedenfalls nicht aus diesem Pub.
«Freund von Ihnen?» fragte Lewis grinsend, als
er die frisch gefüllten Gläser auf den Tisch stellte.
«Ich glaube, dieser Mann hat keine Freunde.»
«Vielleicht, wenn Lawson noch am Leben wäre...»
«Über den wollte ich gerade mit Ihnen sprechen.
Unser Verdächtiger Nummer Zwei.»
«Sie meinen, er ist schnell mal vom Altar weg,
hat Josephs umgebracht und dann ungerührt den Gottesdienst fortgesetzt?»
«So in der Art.»
Das Bier war gut, und Lewis lehnte sich
zufrieden zurück. «Schießen Sie los, Sir. Ich weiß doch, daß Sie mir’s erzählen
wollen.»
«Betrachten wir erst mal die Möglichkeit, daß
das Gift in dem Abendmahlskelch war. So wie Sie es darstellen, ist es zu
unwahrscheinlich. Aber wenn nun Hochwürden Lionel das Morphium selber in den
Wein getan hat? Nachdem sein Bruder getrunken hat, kann er so tun, als sei der
Kelch leer, kann sich zum Altar umdrehen, das Zeug hineingeben, noch einen
Schuß Wein nachgießen — kein Problem. Oder er hatte zwei Kelche und hat sie
schnell aus getauscht. Wenn einer der Brüder Josephs vergiftet hat, tippe ich
auf Hochwürden Lionel.»
«Jetzt will ich doch mal wissen, ob ich das
richtig mitgekriegt habe. Sie sagen, Lionel Lawson hätte versucht, Josephs
umzubringen, und muß wenig später feststellen, daß jemand die Sache noch
gründlicher besorgt hat. Mit einem Messer.» Lewis schüttelte den Kopf. «Das ist
doch nicht drin, Sir.»
«Warum nicht? Hochwürden Lionel weiß, daß
Josephs zur Sakristei gegangen ist und in wenigen Minuten mausetot sein wird.
Er wird ganz friedlich hinübergehen, denn eine Morphiumvergiftung ist kein
schmerzhafter Tod. Hochwürden wird man den Mord nicht anhängen. Der Kelch ist
ausgewaschen und abgetrocknet, streng nach kirchlicher Etikette.
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