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Eine Messe für all die Toten

Eine Messe für all die Toten

Titel: Eine Messe für all die Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Dexter
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hinter einer dicken achteckigen Säule außer Sicht. Er lehnte sich zurück und betrachtete
die rautenförmigen Buntglasscheiben — dunkles Rubin, Rauchblau, leuchtendes
Smaragdgrün — und dachte unbestimmt an seine Kindheit zurück, wo er auch im
Chor gesungen hatte.
    Auch Lewis verlor, wenn auch aus anderen
Gründen, bald jedes Interesse am Thema Unzucht. Da es ihm ohnehin nicht lag,
den Blick begehrlich auf seines Nachbarn Weib zu richten, knobelte er statt
dessen wieder einmal an dem Fall herum. Ob sich wohl Morses Aussage bestätigte,
daß der Kirchgang bestimmt irgendwelche Assoziationen auslösen würde?
    Es dauerte zwanzig Minuten, bis der Prediger mit
seinen Auslassungen über die Fleischeslust zu Ende gekommen war. Dann ' verließ
er die Kanzel, verschwand hinter einer Trennwand in der Marienkapelle und kam,
wiederum im Meßgewand, im Chor heraus. Das war das Zeichen für die anderen
beiden Mitglieder des Triumvirats, aufzustehen und im Gleichschritt zu ihrem
Mitbruder an den Altar zu marschieren. Der Chor hatte wieder Palestrina beim
Wickel, und mit zahlreichen Kniefällen und Kreuzeszeichen steuerte die Messe
ihrem Höhepunkt zu. «Nehmt und eßt, das ist mein Leib», sagte der Priester, und
seine . zwei Helfer verbeugten sich in perfekter Übereinstimmung zum Altar hin,
als seien sie ein einziger Mensch.
    Morse dachte daran, wie er als Kind mit seinen
Eltern im Varieté gewesen war. Da hatte eine Frau vor einem großen Spiegel getanzt,
und zuerst war er aus der Sache überhaupt nicht schlau J geworden. Die Frau war
gar nicht mal besonders gelenkig, und trotzdem waren die Zuschauer hingerissen.
Endlich war der Groschen gefallen. Sie hatte gar nicht vor einem Spiegel
getanzt. Das scheinbare Spiegelbild war in Wirklichkeit eine zweite Tänzerin,
die die gleichen Schritte, dieselben Bewegungen machte, das gleiche Kostüm
trug. Es waren zwei Frauen und nicht eine. Konnte es in der Nacht, als Josephs
ermordet wurde, dann nicht auch zwei Priester gegeben haben?
    Wieder erhob sich seine Phantasie in
schwindelnde Höhen.
    Fünf Minuten nach dem Segen war die Kirche leer.
Einjunger Mann in Soutane hatte die letzte Kerze gelöscht, und selbst die
fromme Mrs. Walsh-Atkins war gegangen. Missa est ecclesia.
    Morse stand auf, schob die dünne rote Gottesdienstordnung in die Brusttasche, ging mit Lewis in die Marienkapelle und las das
Messingschild an der Südwand:
    In der Gruft sind die irdischen Überreste des
Ehrenwerten Jn. Baldwin beigesetzt, Wohltäter und getreuer Diener dieser
Gemeinde. Gestorben 1732, 68 Jahre alt. Requiescat in Pace.
     
     
    Meiklejohn lächelte freudlos, als er, das
Chorhemd über dem linken Arm, zu ihnen trat. «Können wir etwas für Sie tun,
meine Herren?»
    «Wir brauchen die Schlüssel zur Kirche.»
    Meiklejohn runzelte leicht die Stirn. «Wir haben
zwar Zweitschlüssel, aber wozu —»
    «Sehr einfach. Wir möchten die Möglichkeit
haben, die Kirche zu betreten, wenn sie normalerweise abgeschlossen ist.»
    «Verstehe. Wir hatten in letzter Zeit
bedauerlich viel Vandalismus, meist von Schulkindern, leider. Ich frage mich
manchmal —»
    «Wir brauchen sie nur für ein paar Tage.»
    Meiklejohn führte sie in die Sakristei, stieg
auf einen Stuhl und nahm ein Schlüsselbund von einem Haken unter dem
Vorhangbrett. «Ich hätte sie gern möglichst bald wieder zurück. Wir haben alles
in allem nur vier Satz, und jemand braucht ständig welche — zum Glockenläuten
und so.»
    Morse steckte das Schlüsselbund ein. Schöne,
altmodische Schlüssel, ein großer, drei kleinere, alle kunstvoll geschmiedet.
    «Sollen wir hinter uns abschließen?» fragte
Morse. Es sollte ein Scherz sein, hörte sich aber nur albern und unehrerbietig
an.
    «Nein, danke. Wir haben sonntags viele Besucher,
die gern hierher in die Stille kommen, um über das Leben nachzudenken oder
auch, um zu beten.»
    Weder Morse noch Lewis hatten sich während des
Gottesdienstes hingekniet, und zumindest Lewis hatte ein etwas schlechtes
Gewissen, als er die Kirche verließ. So, als habe er ein hochherziges Angebot
ausgeschlagen.
    «Na los», sagte Morse. «Die Pubs sind längst
auf. Wir vertrödeln nur kostbare Zeit.»
     
     
    Am gleichen Tag lief um 12.25 Uhr bei der Thames
Valley Police in Kidlington ein Anruf der Shrewsbury Constabulary ein. Der
Diensthabende notierte die Nachricht gewissenhaft. Nein, er selbst könne mit
dem Namen nichts anfangen, würde ihn aber an die zuständige Stelle
weiterleiten. Erst als er

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