Eine Mittelgewichts-Ehe
er ihr, der Ort ihm vom Namen her gefalle und er ihn sehen wolle. Kein anderer Grund; ich habe auf einer Karte nachgeschaut, und Jezersko ist bestimmt nicht der beste Grenzübergang, wenn man nach Griechenland unterwegs ist. Das entscheidende ist, er hat nicht immer alles planen müssen. Als sie nach Griechenland fuhren, fuhren sie einfach.
Ich habe versucht, sie mir als junge Liebende vorzustellen, und natürlich hat mir Edith viel von ihrer Romanze erzählt, aber Winters Auto entzieht sich mir. Ein 1954er Zorn-Witwer? Edith sagte, die Gangschaltung sei auf dem Armaturenbrett raus- und reingerutscht wie die Saugpumpe eines Klempners. Von so was hab ich noch nie gehört. Es gab Stellen, wo der Boden durchgerostet war und man die Straße unter sich wegflitzen sah. Es war eine Art primitives Kabrio; es hatte ein aufklappbares Leinwandverdeck, das leckte. Das letzte Jahr, in dem das Auto noch hergestellt wurde, war 1954. Severin hatte mir erzählt, Zorn sei eine Rüstungsfirma, die sich nach dem Krieg auf landwirtschaftliche und Straßenbaumaschinen verlegt habe. Witwer, behauptet er, sei eine pleite gegangene Motorradfirma. Nebenher stellten sie zweifellos noch Einräder her. Kann man überhaupt noch jemandem glauben? Wer, zum Teufel, hat je von einem ZornWitwer gehört? Edith hatte keine Ahnung von Autos. Severin Winter ist zuweit gegangen; sie fuhren in irgendeinem mythischen Auto nach Griechenland.
Das Wetter wurde wärmer. Winter hatte eine Nase für Wasser; er wußte, wo er von der Hauptstraße abbiegen und einen See finden konnte. Er fand Dörfer, kaum daß sie Hunger bekamen. Wenn sie auf Volkskunst zu sprechen kamen, fand er für sie ein Zimmer mit geschnitztem Kleiderschrank und großem Federbett - eins, dessen Bettdecken und Kissenbezüge mit Bauernhoftieren bestickt waren. In einer winzigen Pension in Thrakien zeigte er Edith eine Rarität von Volksklosett: der Griff der Spülung war ein vollendet geschnitzter Penis.
Sie entdeckten den Sex in der Wiege der Demokratie. Sie merkten sich die Abfolge der diversen Betten. Für eine Weile favorisierte Edith das Bett in Ljubljana, aber Severin mochte das in Piräus - es war so warm dort, und sie waren in Sicht- und Hörweite des Hafens; die ganze Nacht hörten sie die Boote auf dem Wasser flappen »wie zusammenflappende Schenkel«, erzählte Severin Utsch. Morgens öffnete unter ihrem Fenster ein Fischmarkt. Edith lag im Bett und hörte die Fischmesser hacken und schlitzen, die feilschenden Zungen. Das schlürfende Geräusch des Ausnehmens schien verstärkt; das zeternde Gezanke schwoll an und ebbte ab. Sie wußte, daß die Fischhändler einen Fisch gern genau in dem Moment köpften, in dem sie auf einem Preis bestanden. Tock!, zur Betonung. Wer konnte danach noch Einwände haben?
Sie liebten sich morgens, zuweilen zweimal, bevor sie aufstanden. Sie gingen bald nach dem Abendessen zu Bett, und wenn die Liebe sie zu hellwach gemacht hatte, was häufig der Fall war, standen sie noch einmal auf, gingen aus und aßen noch einmal zu Abend. Dann liebten sie sich noch einmal. Auf dem Land pflegten sie oft mitten am Tage »an ein Wasser zu kommen«. Offenbar war das ein Euphemismus, den sie mochten.
Ediths erste Kurzgeschichte war eine kaum verbrämte Version ihres Aufbruchs von Piräus zu einer Fahrt aufs Land. (Das war, ehe sie von Insel zu Insel hüpften.)
Die Geschichte beginnt mit dem Fischmarkt in Piräus.
Ich wußte, als ich sie zum erstenmal die Fische zerschneiden hörte, daß sie ausverkauft und verschwunden sein würden, bis ich die Pflastersteine zu Gesicht bekam. Am Morgen machte ich Liebe und stand spät auf. Die Fischhändler hatten zusammengepackt, aber der Hotelangestellte mit dem Schlauch hatte die Pflastersteine noch nicht abgespritzt, die von Fischblut und Schleim feucht, von Schuppen phosphoreszierend und von Innereien blau gesprenkelt waren. Es ginge nicht an, sagte uns unser Oberkellner, die Schweinerei bis zum Abend liegen zu lassen, wenn etwaige Gäste sich über das geronnene Blut beunruhigen und glauben könnten, dieser Matsch seien die Überreste eines unglücklichen Selbstmörders aus dem vierten Stock oder des Ritualmordes an einem getäuschten Liebhaber, den man erwischt und am Schauplatz seiner Indiskretion in Stücke gerissen hatte.
Ich selbst war diskret und ließ mich von ihm aufs Land fahren, obwohl unser steinernes Zimmer tagsüber kühl war, denn die Zimmermädchen pflegten an unserer Tür zu lauschen. In der Nacht und am
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