Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Eine Mittelgewichts-Ehe

Eine Mittelgewichts-Ehe

Titel: Eine Mittelgewichts-Ehe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
Vom Netzwerk:
andermal.
    Wir kehrten in einer unsere Gesichter badenden Scheinwerferflut anderer Wochenendurlauber von Cape Cod zurück. Edith und ich saßen auf dem Rücksitz; unter meinem Hemd lagen ihre Finger kühl auf meinem Bauch. Es herrschte ein behagliches Geräusch, Reifensummen und Motorbrummen, so daß ich in normaler Lautstärke mit ihr reden konnte, ohne daß Utsch und Severin es hörten. Nicht daß ich irgend etwas hätte sagen wollen, das nicht für ihre Ohren bestimmt gewesen wäre; der springende Punkt ist, daß es intim war, nachts so zu fahren. Durch das Unpersönliche der flackernden Scheinwerfer, die uns anleuchteten und hinter sich im Dunkeln ließen, kam ich mir isoliert, übersehen, besonders vor. Auf dem Vordersitz saßen Utsch und Severin keusch für sich - eher aufgrund der Konstruktion seines Autos als aus eigenem Entschluß, da war ich sicher; es hatte Einzelsitze. Außerdem bestand Severin darauf, daß alle sich anschnallten. Hinten hatten Edith und ich unsere Gurte abgestreift, damit wir dichter beieinander sitzen konnten; er muß es gewußt haben. Ich konnte den Singsang seiner Stimme hören, die sich bisweilen über den Motor, die Reifen und meine eigene Stimme hob, aber als ich mich anstrengte, um ihn zu verstehen, stellte ich fest, daß er deutsch sprach. Eine Geschichte? Eine weitere Erzählung aus dem alten Wien? Worüber redeten sie?
    »Über nichts«, sagte mir Utsch einmal. Ich fand, sie klang verbittert. »Was immer Severin und ich gemeinsam haben, ist deine Vorstellung. Wenn du einen anderen Amerikaner kennenlernen würdest und du lebtest sagen wir mal in Wien und der andere Amerikaner käme aus Cambridge, Massachusetts, würdest du dann annehmen, du hättest viel mehr mit ihm gemeinsam als die englische Sprache und ein paar regionale Eigenheiten?« Puh. Da stellt man eine einfache Frage und kriegt gleich einen ganzen Sermon zu hören.
    Aber ich sah unser Schlafzimmer, nachdem er es verlassen hatte; ich sah meine Frau, nachdem er sie verlassen hatte. Ich sah ihre Verbindung in den einander entsprechenden Apfelbutzen, leeren Flaschen, angeknabberten Käse- und Brotbrocken, den abgegessenen Traubenstielen, den Laken, verknäuelt wie eine große, geballte Faust, die ich mir vorstelle, wie sie die Matratze schief schlägt! Ich habe Kissen in entfernten Zimmerecken gefunden, und einmal fand ich den wackligen Stuhl, auf den ich gewöhnlich meine Hosen werfe, verkehrtherum in den Wäschekorb gestopft. An jedem Stuhlbein baumelte ein Schuh (meine Schuhe), so daß er einem vierbeinigen Geschöpf mit Menschenfüßen ähnelte, das vielleicht gewaltsam ermordet und umgedreht worden war, um auf unserer schmutzigen Wäsche auszubluten.
    »Es sieht so aus, als ob ihr zwei eine tolle Beziehung habt«, sagte ich zu Utsch.
    Sie lachte. »Ich denke«, sagte sie und gab mir einen sanften Nasenstüber, »daß du denken solltest, was du denken willst« - unterbrochen von einem leichten Puff auf den Arm - »denn das tust du eh.« Sie hatte nie diesen verdammten Sportler-Zudringlichkeiten, diesen Kinnstupsern und Rippenstößen und Ohrenknüffen, gefrönt, ehe sie ihn kennenlernte.
    Hinter Boston lichtete sich der Verkehr, und wir fuhren größtenteils im Dunkeln. Ich hörte zu reden auf. Severins Deutsch war Musik. Ich merkte, daß wir beide zuhörten, obwohl Edith die Sprache auch nicht besser verstand als ich. Utsch antwortete nicht; er redete einfach immer weiter. Ich konnte mich nicht erinnern, wann er das Radio abgestellt hatte (um mitzubekommen, was ich zu Edith sagte? Damit wir ihm zuhörten?), aber Edith bat ihn, es wieder anzustellen. Sie mußte sich vorbeugen, damit er sie hörte, und gab ihm einen Kuß in den Nacken.
    »Schnall dich an«, sagte er ihr.
    »Können wir da hinten ein bißchen Musik haben?« fragte Edith, seine Worte überhörend.
    »Nein«, sagte er. »Nicht, ehe du dich nicht anschnallst.«
    Utsch rührte sich nicht auf ihrem Sitz.
    Nach einer Weile drehte Severin das Radio an; Edith hatte gewartet, als ob sie wüßte, daß er es tun würde, aber sie lehnte sich erst wieder an mich, als die Musik spielte. Sie schnallte sich nicht an. Severin hörte endlich zu reden auf. Ich berührte ganz sanft Ediths Brüste, zwickte ihre Brustwarzen; ich versuchte, sie zum Lachen zu bringen, aber sie saß steif an mich gelehnt, als wartete sie immer noch auf das Radio. Die Musik war fürchterlich, und der Sender kam nicht gut herein. Schließlich stellte ihn Utsch richtig ein. Sie mußte ihren Gurt

Weitere Kostenlose Bücher