Eine Nacht ist nicht genug
Blick von ihr zu wenden.
Als Emily wieder von Schluchzern geschüttelt wurde, wandte sie ihm schnell den Rücken zu und versuchte, ihre Gefühle unter Kontrolle zu bekommen. Blinzelnd konzentrierte sie sich auf die Einrichtung und den Boden, um nicht das tiefe Leid sehen zu müssen, das sich in seinen Augen gespiegelt hatte. Nicht das kleinste Fünkchen Hoffnung oder Glück war da gewesen.
In Lucas Zimmer lag nicht ein einziger Gegenstand herum. Die Türen des begehbaren Kleiderschranks standen offen, sodass sie die ordentlich aufgehängten Anzüge sehen konnte. Nirgends gab es etwas Persönliches, auch keine Familienfotos. Nur ein Stapel Bücher und Zeitschriften neben dem Bett wies auf die Person hin, die in diesem Zimmer wohnte. Dennoch wirkte der Raum nicht kalt und steril, sondern verströmte eine ruhige, friedliche Atmosphäre.
Emilys inneres Zittern wurde noch stärker, und sie versuchte mit aller Macht dagegen anzukämpfen. Dann hörte sie, wie Luca hinter ihr langsam ausatmete.
„Bitte lass es mich erklären, Emily.“
Hatte sie jemals Nein sagen können?
„Ich muss mit dir über Nikki sprechen.“
Nein!, hätte Emily am liebsten geschrien. Sie ballte die Hände zu Fäusten und presste sie gegen ihre Brust – als wolle sie sich vor noch schlimmerem Schmerz schützen.
„Bitte, Emily. Es wird nicht lange dauern“, bat Luca.
Da er vor der Tür stand, gab es kein Entkommen. Emily ließ den Kopf sinken und sammelte ihre letzte noch verbliebene Kraft.
„Du weißt ja schon, dass Nikki und ich uns in Oxford kennengelernt haben“, begann er. „Sie war damals achtzehn und ich knapp zwanzig. Eines Tages hatte sie morgens beim Aufwachen Kopfschmerzen. Erst dachte sie, sie hätte Migräne. Das kam öfter vor …“ Er verstummte einen Moment und fuhr dann fort: „Ich hätte nie gedacht, dass es so schnell gehen könnte. Nikki hatte keine Chance. Sie hatte nicht einmal genug Zeit für den Versuch, sich zu wehren.“
Emily tat noch immer das Herz weh, doch jetzt empfand sie tiefes Mitgefühl für Luca und Nikki. Sie wandte sich um und sah ihn an. Noch immer hatte er den Blick auf sie gerichtet, als hätte er sich entschlossen, einen bestimmten Weg um jeden Preis zu gehen. Und dass es ihn etwas kosten würde, sah sie daran, wie seine Augen in seinem aschfahlen Gesicht immer dunkler wurden.
Mit heiserer, leiser Stimme sprach Luca weiter.
„Nikki wollte heiraten. Dieses bedeutende Ereignis im Leben wollte sie noch erleben, bevor …“ Er räusperte sich und versuchte, etwas lauter zu reden. „Denn alle anderen würde sie ja verpassen. Deshalb wünschte sie sich diesen einen glücklichen Augenblick. Und es war das Einzige, was ich wirklich für sie tun konnte …“ Wieder verstummte er einen Moment lang. „Neun Stunden später ist sie gestorben“, sagte er dann.
Fassungslos blickte Emily ihn an und konnte nur die unendlich traurige Szene sehen, die er ihr geschildert hatte.
„Weine nicht, Emily“, bat Luca, und erst da merkte sie, dass ihr noch immer die Tränen über die Wangen liefen.
„Du bist nie darüber hinweggekommen“, stellte sie leise fest.
„Nein“, erwiderte Luca mit so schmerzlichem Gesichtsausdruck, als hätte sie ihm einen Schlag versetzt. „Aber nicht so, wie du es meinst.“ Seine Verzweiflung war fast greifbar. „Es war furchtbar, Emily. Und nachdem Mum dahingesiecht war und Nikki von dieser grässlichen Krankheit aus dem Leben gerissen worden war, habe ich beschlossen, dafür zu sorgen, dass mir so etwas nie wieder passiert. Ich habe also meine gesamte Energie in mein Unternehmen gesteckt. Nähe wollte ich nicht. Seitdem habe ich nie wieder eine Beziehung gehabt und auch nie die ganze Nacht mit einer Frau verbracht. Es hat noch nicht einmal eine Frau in meiner Wohnung übernachtet. Ich hatte lediglich unverbindliche Affären, One-Night-Stands. Und dann kam lange nichts, weil ich zu sehr mit meiner Arbeit beschäftigt war.“ Mit ausdrucksloser Stimme fuhr Luca fort: „Ich wollte nicht, dass ich eine Frau – oder irgendeinen anderen Menschen – in meinem Leben brauchen würde. Und auch nicht, dass sich eine Beziehung entwickelte. Also habe ich es immer beendet, bevor irgendetwas entstehen konnte.“
Also hatte seine genussbetonte, unverbindliche Art nichts mit einer unbekümmerten Lebenseinstellung zu tun, sondern ihr lagen Leid und schmerzlicher Verlust zugrunde.
„Du musst Nikki wirklich sehr geliebt haben“, stellte Emily leise fest.
Ihre Bemerkung schien
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