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Eine Nacht zum Sterben

Eine Nacht zum Sterben

Titel: Eine Nacht zum Sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Higgins
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Stahlschubladen eingelassen; in jeder lag wahrscheinlich eine Leiche, aber der Techniker führte ihn zu einem Rolltisch, der mit einem Gummilaken bedeckt war.
    »Er war in keine Schublade zu bekommen; eine dumme Geschichte«, sagte er. »Er ist zu aufgedunsen. Und stinken tut er wie der Fisch vom letzten Jahr.«
    Als sie dicht davorstanden, wurde der Gestank fast unerträglich, obwohl man offenbar alles getan hatte, um den Geruch zu neutralisieren. Chavasse hielt sich ein Taschentuch vor den Mund.
    »Ich verstehe.«
    Er hatte den Tod schon oft und in vielen Variationen gesehen, aber so etwas war ihm noch nicht vorgekommen. Er runzelte die Stirn.
    »Wie lange ist er im Wasser gewesen?«
    »Sechs oder sieben Wochen.«
    »Wissen Sie das genau?«
    »Ja. Wir haben Urintests gemacht, den Grad des Gewebezerfalls gemessen und so weiter. Es war übrigens ein Neger, oder wußten Sie das?«
    »Das hat man mir gesagt, aber von allein wäre ich nicht darauf gekommen.«
    Der Techniker nickte. »Der lange Aufenthalt im Salzwasser nimmt der Haut jede Pigmentierung.«
    »Das sieht man.« Chavasse trat einen Schritt zurück und steckte das Taschentuch wieder in seine Westentasche.
    »Ich danke Ihnen. Ich habe alles gesehen; das genügt mir.«
    »Können wir ihn dann wegschaffen, Sir?« fragte der Techniker.
    »Das hätte ich fast vergessen.« Chavasse nahm ein gedrucktes Schriftstück aus der Brieftasche. »Er wird eingeäschert, und die Papiere sollen bis morgen ans Home Office gehen.«
    »Die Mediziner von der Universität wollten ihn eigentlich unters Seziermesser nehmen.«
    »Sagen Sie ihnen, sie sollten es mit Burke und Hare versuchen.« Chavasse streifte sich seine Handschuhe über. »Asche zu Asche für diesen Kameraden; und kein Belustigungszirkus. Ich finde allein nach draußen.«
    Als er gegangen war, zündete sich der Techniker eine Zigarette an. Er runzelte die Stirn. Er dachte über Chavasse nach. Er wirkte wie ein Ausländer, war aber offenbar Engländer. Ein ganz netter Kerl soweit – ein Gentleman, um es altmodisch auszudrücken. Aber etwas war eigenartig an ihm. Das waren die Augen, ja. Diese schwarzen Augen, die so vollkommen ausdruckslos waren. Sie blickten vollkommen leer, so als ob man gar nicht da war. Dieselben Augen hatte jener japanische Oberst gehabt in dem Lager in Siam, wo der Techniker die schlimmsten drei Jahre seines Lebens verbracht hatte. Ein komischer Kerl, dieser Japaner. Manchmal konnte er nett und freundlich sein wie die Humanität in Person; und im nächsten Augenblick rauchte er seelenruhig eine Zigarette, während sie vor seinen Augen einen Gefangenen wegen einer Nichtigkeit zu Tode prügelten.
    Der Techniker zuckte die Achseln und entfaltete das Papier, das Chavasse ihm gegeben hatte. Es war vom Innenminister selbst unterzeichnet. Das genügte. Er steckte es in seine Brieftasche und schob den Rolltisch nach nebenan in das Krematorium. Genau drei Minuten später schloß er die Glastür von einem der drei Spezialöfen und drehte den Schalter. Flammen züngelten um die Leiche; sie fing sofort an zu brennen.
    Der Techniker zündete sich noch eine Zigarette an. Professor Henson war sicher nicht sehr erbaut, aber nun war die Sache erledigt; und schließlich hatte er ja die Anweisung schriftlich. Er ging wieder nach nebenan, pfiff fröhlich vor sich hin und machte sich eine Tasse Tee.
     
    Es war fast zwei Monate her, daß Chavasse das Haus in St. John’s Wood zuletzt betreten hatte; und nun kam er sich vor, als sei er von einer langen Reise nach Hause zurückgekommen. Das war gar nicht so seltsam, wenn man bedachte, was er in den letzten zwölf Jahren als Agent dieses Büros für ein Leben geführt hatte. Es war eine fast völlig unbekannte Abteilung des britischen Geheimdienstes, die sich mit außergewöhnlichen Fällen befaßte.
    Er stieg die Treppen hoch und drückte auf den Klingelknopf neben der Messingplatte mit der Aufschrift BROWN & CO – IMPORT & EXPORT. Die Tür wurde fast im selben Augenblick von einem großen Uniformierten mit grauen Haaren geöffnet, der gleich ein strahlendes Begrüßungslächeln aufsetzte.
    »Ich freue mich, daß Sie wieder da sind, Mr. Chavasse. Sie sehen gut erholt aus; richtig braun geworden sind Sie.«
    »Ich freue mich auch, George.«
    »Mr. Mallory fragt laufend nach Ihnen, Sir. Miss Frazer hat schon alle paar Minuten bei mir angerufen.«
    »Also wieder mal wie immer, George.«
    Chavasse stieg eilig die enge Wendeltreppe empor. Es hatte sich nichts verändert.

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