Eine naechtliche Begegnung
auch«, flüsterte sie. Aber sie war viel selbstsüchtiger. Er war es, der sie am meisten quälte.
Dieser Schmerz, wo eigentlich mein Herz sein sollte
, dachte sie.
Der quält mich
.
Aber es war ein süßer Schmerz. Wie erstaunlich, sich an den zweiten Abend ihrer Bekanntschaft zu erinnern, als Simon sich um ihr Auge gekümmert hatte. Er hatte sich so schlecht dargestellt. Und sie hatte jede Lüge geglaubt, die er über sich erzählt hatte: ein Tunichtgut, den nichts auf der Welt kümmerte außer seiner Brieftasche.
Aber schlechte Lügen hielten nie lange stand. Sie hob die Hand, legte sie an seinen markanten Kiefer und erwiderte seinen durchdringenden Blick. Er war freundlich und furchterregend klug, geistreich und lustig und – obwohl er das wahrscheinlich selbst dann leugnen würde, wenn man ihn mit der Waffe bedrohte – einfühlsam. Es war ihm nicht egal, was andere von ihm dachten. Sonst würde er sich niemals so sehr bemühen, sein wahres Gesicht und seine Musik vor der Welt zu verbergen.
»Du bist ein guter Mann«, sagte sie. »Weißt du das?«
Er missverstand sie. »Du hast recht, daran zu denken«, sagte er. »Es darf uns nicht egal sein. Und diese Weltverbesserer, die nichts verbessern – du kannst es anders machen. Wie ich gesagt habe, alles ist jetzt für dich möglich.«
Zuerst spürte sie ihr eigenes Lächeln, dann seine Finger, die ihre Lippen nachzeichneten. »So ist es besser«, flüsterte er.
»Ist es«, stimmte sie zu. Sie zog seinen Kopf zu sich herunter und presste ihre Lippen auf seinen Mund, drängte nach der Berührung seiner Zunge. Die bekam sie. Simon presste sie gegen die Polster und küsste sie ernst. Als er Nell mit seinen kräftigen Armen umschlang, flohen ihre Ängste wie Nachttiere vor dem Licht. Zähne, die Zunge, dunkel und süß drang er in sie. Sein Griff war fest und erklärend: Sie gehörte ihm, und deshalb würde sie bei ihm bleiben.
Ihre Hand glitt nach oben und grub sich immer tiefer in sein Haar. Simon gab einen schwachen Laut der Überraschung von sich, küsste sie aber noch leidenschaftlicher. Kein Versuch, ihren Griff zu lockern oder sich ihr zu entziehen. Er würde nicht weichen, nicht nachgeben. Das liebte sie an ihm.
Er war wie sie.
Der Gedanke leuchtete in ihr auf wie ein Feuerwerk in einer mondlosen Nacht. Hier hatte sie ihre Gemeinsamkeit: dieser Starrsinn, hart und unerbittlich wie ein Diamant. Das war der Stoff, der sie zusammenhielt. Sie waren aus demselben harten Stein gemacht. Sie würden unnachgiebig aneinander festhalten. Katherine hatte sie nicht gewollt, aber er schon. Er hatte sie geheiratet und würde auf sie aufpassen.
Tief nahm sie seine Zunge in ihrem Mund auf, als sie nach ihren Röcken griff. Zentimeter für Zentimeter füllten sich ihre Hände mit der raschelnden Seide, bis ihre Waden und Knie entblößt waren. Dann tauchte sie unter seinen Armen hindurch, stieß ihn zurück und setzte sich rittlings auf ihn.
Sie spürte sein sanftes, heißes Stöhnen an ihrer Kehle, als sie sich an seinen Körper schmiegte. Er war groß und breit, agil, aber von robustem Knochenbau. Die Muskeln seiner gespreizten Schenkel trugen sie so leicht, der Griff um ihre Taille war sicher und fest. Wie wunderbar musste es sein, er zu sein, und wie wunderbar war es, sich an ihn zu lehnen. Er fühlte sich an wie die Antwort auf jede kleine Frage, die sie je gehabt hatte, das Versprechen von immer mehr und immer schöneren Überraschungen. Er enttäuschte sie nie.
Sie schlang die Arme um ihn und hielt ihn fest, als sie sich auf ihn zubewegte und keinen Zentimeter Platz zwischen ihnen ließ. Auf ihr Gleichgewicht brauchte sie nicht zu achten, er würde sie halten. Sie musste sich nur auf diesen Kuss konzentrieren, der wie ein Sturm zwischen ihnen aufzog. Sie bog sich zurück, als seine Finger sich in ihre Wirbelsäule gruben. Sie wollte in seine Haut schlüpfen und diesen wunderbaren Körper bewohnen, wissen, wie es sich anfühlte, als er durch die Welt zu gehen. In einem alten irischen Gebet gab es eine Stelle, wo die Straße sich emporwölbt, um einem Menschen entgegenzukommen. Ihm wölbte sich die Welt entgegen, die Welt verlangte nach ihm. Er hatte einen Zauber, den Nell auch haben wollte.
Der Umhang glitt von ihrer Schulter und fiel zu Boden. Simon fuhr mit den Zähnen an ihrem Hals hinunter. Zwischen ihren Brüsten war ein kleines Stück Spitze, ein Fichu, festgesteckt, das er bewusst und konzentriert mit den Zähnen packte und herauszog. Seine Hände
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