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Eine naechtliche Begegnung

Eine naechtliche Begegnung

Titel: Eine naechtliche Begegnung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meredith Duran
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ihrem Kopf – darunter die Tatsache, dass sie ihm nichts beibringen könnte, was ihn interessierte. Sie wusste nur, wie man einen Schilling oder einen Topf Suppe streckte, damit sie länger reichten. Wie man einen Riss in Guttapercha mit einer Kerzenflamme flickte. Sie kannte die beste Zeit, um beim Schlachter ein Sonderangebot zu bekommen. Den sichersten Weg im Dunkeln nach Hause.
    Was aus ihrem Mund kam war: »Ich schäme mich nicht.«
    Er beugte sich vor. »Du musst dich auch nicht schämen«, sagte er nachdrücklich. »Mein Gott, Nell – wofür solltest du dich schämen? Katherine Aubyn ist ein dummes, verwöhntes Gör. Die Viscountess ist ein leeres Nichts. Ihre Meinungen zählen absolut gar nichts.«
    Sie versuchte zu lächeln. »Ich weiß«, sagte sie. Sie hatte den leichteren Part in dieser Ehe: Sie hatte beide Seiten gesehen, inzwischen jedenfalls, während er nur seine eigene Welt kannte. Sie konnte ihm nicht zeigen, wie sich der Matsch angefühlt hatte, als sie darin herumgewühlt hatte, oder wie hart der Boden unter ihren Knien gewesen war. Er konnte niemals ahnen, dass ihr selbst jetzt noch, nachdem sie sich den Bauch bei einem wunderbaren Mahl gefüllt hatte, die Erinnerung an den Hunger in den Knochen saß.
    Und sie wollte nicht, dass er das ahnte. Sie war froh, dass er die Schwäche und die Angst nicht sah, diesen kleinen, feigen Teil in ihr, der sich niemals sicher fühlte. Wenn er das jemals zu Gesicht bekäme, würde er sie anders sehen. Und oh, wie sehr sie den Blick mochte, mit dem er sie jetzt bedachte.
    »Was quält dich?«, fragte er. Ein Hauch von Enttäuschung klang in seiner Stimme mit, aber sie nahm es ihm nicht übel. Sie wusste, dass er nicht sie damit meinte.
    »Ich werde niemals richtig zu deiner Welt gehören.« Sie sprach behutsam, mit all der Ehrlichkeit, die sie aufbringen konnte. »Auch in zwanzig Jahren nicht, Simon. Oder vierzig.« Die Erinnerung an den Hunger wäre immer noch da. Deshalb könnte sie Reichtum nie für so selbstverständlich halten wie er.
    »Aber niemand gehört zu dieser Welt, Nell. Zumindest kommt es niemandem so vor. Alle beobachten sich gegenseitig und fürchten das Lachen aus der anderen Ecke des Raums, weil sie sich immer fragen, ob sie selbst der Grund für dieses Lachen sind. Ob man Witze über sie macht.«
    Sie biss sich auf die Lippen. Er glaubte, dass sie Angst hatte, von seinen Kreisen beurteilt und für unzulänglich befunden zu werden. Offensichtlich war es ihm nie in den Sinn gekommen, dass sie ihre eigene Unzulänglichkeit fürchtete.
    »Wenn sie mit dir zusammen sind, fühlen sie sich nicht so«, sagte sie. »Bei dir fühlen sie sich wohl.«
    »Nicht ganz«, sagte er. »Niemals ganz. Es ist eine Welt voller Anmaßung, weißt du – ohne Substanz. Niemand ist fähig, ganz er selbst zu sein.«
    Seine Worte erinnerten sie daran, dass sie sich früher am Abend über etwas gewundert hatte. »Unterschreibst du deine Musik deshalb nicht mit deinem Namen? Lässt du die Leute im Glauben, jemand anders habe sie geschrieben, weil du Angst hast, dass sie sich über dich lustig machen?«
    »Ich habe keine Angst«, sagte er. »Ich habe doch gesagt, dass mir Anerkennung nicht wichtig ist. Nicht in diesen Kreisen.«
    »Glaubst du nicht, dass man dir Anerkennung schuldet? Ich meine für deine Musik?«
    »Vielleicht. Es bedeutet mir nichts.«
    Sie sah auf ihre Hände hinunter. In solchen Momenten fühlte sie die Distanz zwischen ihnen am deutlichsten. Er sprach von seiner Gleichgültigkeit, als wäre es ein Anzug, den er heute gewählt hatte. Dabei war Gleichgültigkeit ein Luxus, den sich nur die Wohlhabenden leisten konnten. Als sie damals nach dieser Münze gesucht hatte, war die Laune einer glitzernden Frau alles für sie gewesen.
    Mit einem ungeduldigen Laut setzte er sich neben sie. Er nahm ihr Gesicht in beide Hände, hielt es fest und sah sie an. »Erzähl es mir«, sagte er.
    Sie schluckte. Als hätte man ihn nur dafür gemacht, ihr Angst und Schrecken einzujagen – nicht unbedingt wie ein lebendig gewordener Traum, sondern eher wie die Summe von allem, was sie sich nicht einmal erlaubte zu träumen. »Ich kann es nicht erklären.«
    »Doch du kannst«, sagte er. »Wenn es nicht Katherine ist … ist es vielleicht die Ungerechtigkeit, die dir Sorgen macht? Die Bettlerin, meine ich? Du hast jetzt die Macht, das zu verändern. Das begreifst du doch, oder?«
    Er sprach so ernst mit ihr, versuchte, ihre Gedanken zu entwirren, sie zu verstehen. »Das

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