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Eine naechtliche Begegnung

Eine naechtliche Begegnung

Titel: Eine naechtliche Begegnung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meredith Duran
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begriff sie, was sie vorhatte: Sie suchte einen sicheren Ort, um den Brief zu verbrennen – als wäre Hannahs Freundschaft etwas Schmutziges, das man verleugnen und zurückweisen musste.
    Der Gedanke ließ sie vor Scham stehen bleiben. Sie liebte Hannah. Sie sehnte sich danach, sie zu besuchen. Aber wenn sie die Einladung annahm, würde Simon sie begleiten wollen. Er war so neugierig zu erfahren, wo sie aufgewachsen war. Er hatte Hunderte von Fragen über ihre Jugend gestellt, aber erst jetzt begriff sie – in markerschütternder Erkenntnis –, dass sie ihm so offen geantwortet hatte, weil ihm die Fragen, vor denen sie sich wirklich fürchtete, niemals einfallen würden.
    Langsam atmete sie ein. Was war schon dabei, wenn er sah, wie heimisch sie in den Slums war? Was kümmerte es sie, ob er sich ekelte? Verdammt, sie hatte fast ihr ganzes Leben von Schweinefraß gelebt, in der Wohnung nebenan war an neun der zwölf Monate des Jahres jemand am Fieber erkrankt. Und wenn schon. Sein Urteil konnte ihr egal sein!
    Aber diese Fragen, die bisher immer gesunde, zuverlässige Wut geweckt hatten, konnten sie jetzt nicht mehr schützen. Es war ihr nicht egal. Seine Meinung war ihm wichtiger als alles andere. Und sobald er begriff, wie es in Bethnal Green wirklich aussah, würde seine Vorstellungskraft sich auf dunklere, wahrere Wege wagen. Anstatt nach ihrer Tätigkeit in der Fabrik zu fragen, würde er vielleicht fragen:
Wie bist du nachts sicher nach Hause gekommen?
Wie hast du dich ohne fließendes Wasser gewaschen?
    Es war leichter, eine Frau zu lieben, wenn man sich nicht vorstellen musste, dass sie auf der Straße von Trunkenbolden angegrabscht wurde oder sich Läusebisse aufkratzte.
    Sobald er sie in Bethnal Green sähe, würde er begreifen, dass unter den feinen Kleidern noch immer ein Mädchen steckte, an dem er unter normalen Umständen vorbeigehen würde, ohne sich umzudrehen. Nell schloss die Augen. Sie hasste es, so von ihm zu denken. Hasste sogar sich selbst dafür, ihn so kleinherziger Dünkelhaftigkeit für fähig zu halten.
    Ein Geräusch drang an ihr Ohr: Simons Stimme erklang gedämpft hinter einer Tür am anderen Ende der Empfangshalle. Der tiefe Klang löste einen stupiden Reflex in ihr aus, und auf ihren Lippen erschien ein Lächeln – das Lächeln wiederum wirkte wie Medizin. Als sie die Augen öffnete, konnte sie plötzlich nicht mehr an ihm zweifeln.
    Er konnte ruhig mit ihr kommen. Sie vertraute darauf, dass er nicht über sie urteilen würde. Nell strich den Brief glatt und ging weiter, ihr Herzschlag beschleunigte sich.
Hannah hat Neuigkeiten über Michael,
würde sie sagen.
Nein, ich weiß nicht, worum es geht, aber ich dachte, ich könnte sie besuchen. Vielleicht möchtest du mitkommen, weil du so neugierig auf Bethnal Green warst
.
    Gerade wollte sie klopfen, als sie die Worte hörte.
    »… sieht wirklich schlecht aus«, sagte jemand. Nicht Simon. Sie glaubte, es war Daughtry, der Anwalt. »Wir hatten bereits angenommen, dass Grimston zu einer der Zeitungen gehen würde, wir sollten also eigentlich nicht überrascht sein.«
    Seit ihrem Erscheinen bei Lady Allenton waren die Zeitungen voll gewesen mit Spekulationen über Lord Rushdens neue Countess. Erst diesen Morgen hatte sie mit Simon über die Möglichkeit gesprochen, einem wohlwollenden Reporter ein Interview zu geben.
    »Das ist mir bewusst«, gab Simon mit scharfer Stimme zurück. »Aber alle anderen Artikel sind recht positiv. Eine öffentliche Äußerung über Sensationsjournalismus kann sicher nicht schaden.«
    »Ich verstehe, dass Sie etwas gegen den Artikel sagen wollen«, sagte Daughtry. »Aber ich muss es noch einmal sagen: Ich empfehle Ihnen dringend, die Sache zu ignorieren. Sobald Sie diese Beschuldigungen öffentlich zur Kenntnis nehmen, könnte, im Falle, dass die Countess zu einer Betrügerin erklärt wird, Ihre Unwissenheitsbehauptung in Zweifel gezogen werden. Es wäre sehr viel schwieriger für Sie, die Ehe zu lösen.«
    Die Ehe lösen.
    »Aber das ist nicht länger von Bedeutung«, sagte Simon – plötzlich wie aus der Ferne und vom laut in ihren Ohren donnernden Puls gedämpft. »Ich habe kein Interesse an einer Annullierung.«
    »Gewiss«, gab der Anwalt zurück. »Trotzdem wäre es klüger, so vorzugehen, dass Ihnen alle Optionen offen bleiben. Darauf werden wir uns doch einigen können.«
    Alle Optionen?
    Nell wandte sich von der Tür ab und starrte blind in die vornehme, stille Eingangshalle. Die schöne Täfelung

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