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Eine naechtliche Begegnung

Eine naechtliche Begegnung

Titel: Eine naechtliche Begegnung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meredith Duran
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Anblick war Nell vertraut: hohlwangig, mit dichten Augenbrauen und dem selbstzufriedenen Blick eines Mannes, der sich auf seine Autorität etwas einbildete. Mit wachsamen Augen fixierte er sie, während er die dicken Lippen zu einem Grinsen verzog.
    »Sei ein braves Mädchen und komm heraus«, sagte er.
    Katherine wand sich in Grimstons Griff. »Lasst sie in Frieden!«, schrie sie.
    Nell wich zurück, aber sie konnte nirgendwohin. »Sie dürfen mich nicht mitnehmen«, sagte sie, als der Bulle in die Kutsche stieg. »Das dürfen Sie nicht.« Hastig sprudelten die Worte aus ihr heraus. »Ich bin jetzt verheiratet. Ich bin die Countess of Rushden. Das dürfen Sie nicht.«
    Der zweite Polizist erschien mit einem schweren Schlagstock in der Hand vor der Tür. Als der erste seine dicke Hand um ihren Arm legte, sagte er: »Ich weiß nur, dass Sie mit uns kommen müssen.«
    Der Inspektor, Mr Hunslow, war ein schmaler, glatzköpfiger Mann, dessen fahles Gesicht im Gaslicht glänzte, als hätte jemand es in Öl getaucht. Alle paar Sekunden unterbrach er sich, um seine rissigen Lippen zu lecken. »Der zuständige Richter ist erst morgen früh um zehn wieder anwesend«, sagte er. »Sie sollten offen sprechen, solange Sie es hier gemütlich haben.«
    Nell verstand das als Drohung, und so war es auch gemeint. Der Raum war klein, die Luft war abgestanden, und nur ein einziges hohes Fenster zeugte von der Existenz der Außenwelt. Aber sie war hier allein. Das war nicht die übliche Unterbringung für Gefangene.
    »Ich habe es Ihnen schon gesagt. Ich habe diesen Löffel nicht gestohlen. Ich bekam ihn von einem Mann namens Michael Whitby.« Sie würde ihn nicht länger ihren Stiefbruder nennen. Sie würde auch an Katherine nicht als ihre Schwester denken. An keinen von ihnen würde sie noch einen einzigen Gedanken verschwenden.
    Hunslows Kiefer ruckte von einer Seite auf die andere. Durch die rohen, weiß getünchten Wände drangen die Geräusche des ordentlichen Strafvollzugs. Jemand jammerte, ein Baby schrie, zwei Stimmen erhoben sich im Streit. Der Inspektor befand sich in einem Dilemma. Er hielt sie für eine Betrügerin und Diebin, wusste – und hatte es auch direkt erwähnt –, dass sie aus einem Teil der Stadt kam, wo die Leute sich noch in angemessener Weise vor Polizisten fürchteten. Er habe die Zeitungen gelesen, hatte er sie mit einem dünnen Lächeln informiert.
    Aber er wusste auch, dass sie mit einem Lord verheiratet war. Er konnte ihr kein Haar krümmen, und offensichtlich wagte er nicht einmal, die Stimme zu heben. Und ohne seine üblichen Methoden hatte er absolut keine Ahnung, wie er sie einschüchtern sollte.
    Nell starrte unverwandt zu ihm hoch, bis er zischelnd ausatmete und sagte: »Wir werden nach diesem Mann suchen. Aber bedenken Sie eines: Falls wir ihn nicht finden, bringt Ihnen diese Geschichte mehr Ärger als Nutzen.«
    »Suchen Sie ihn«, sagte sie. »Ich kann nichts tun, außer die Wahrheit zu sagen.«
    Es klopfte an der Tür. Hunslow stand auf, zog an der dunklen Jacke und verschwand, um zu öffnen.
    Nell richtete ihre Aufmerksamkeit wieder auf den Riss in der weiß getünchten Wand gegenüber. Es war wichtig, sich auf diesen Riss zu konzentrieren. Im ersten Moment nach ihrer Ergreifung hatte sie Panik verspürt, und als sie dann in Katherines tränenüberströmtes Gesicht geblickt hatte, war ihr langsam bewusst geworden, dass ihre Schwester sie verraten hatte. Danach war alles einer angenehmen Gefühllosigkeit gewichen, die sie um jeden Preis aufrechterhalten wollte. Sie würde nicht über ihre Lage nachdenken, über die Umstände oder die Tatsache, dass Simon keine Ahnung hatte, wo sie war. Sie würde sich einfach auf den Riss in der Wand konzentrieren.
    »Sehr gut«, hörte sie Hunslow sagen, und bei dem Triumph, der in seiner Stimme mitschwang, wurde ihr flau im Magen. Sie schluckte schwer. Die Wände brauchten dringend neue Tünche. Farbschuppen sprenkelten die hölzernen Dielen direkt an der Wand. Solche Wände färbten ab, wenn man sich dagegenlehnte. Es war furchtbar mühsam, die weißen Schlieren wieder herauszukriegen.
    Die Tür schloss sich. Hohle Schritte kündigten Hunslows Rückkehr an. Aber als sie aufsah, stand da nicht Hunslow, sondern Sir Grimston, leichenblass in einem schwarzen Anzug, die winzige Andeutung eines Lächelns auf den schmalen Lippen.
    »Ja«, sagte er bedächtig. Er nahm den Stuhl, auf dem eben noch der Inspektor gesessen hatte, und setzte sich so steif hinein, als ob

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