Eine naechtliche Begegnung
dagegen.
Simon wird das aufklären
, sagte ihr Herz.
Ihr Herz! Hatte ein Herz jemals vernünftige Entscheidungen getroffen? Wenn das Leben sie eines gelehrt hatte, dann wie gefährlich romantische Vorstellungen waren und was für eine giftige Wirkung Wunschdenken entfalten konnte. Immer hatte sie einen besseren Weg gesucht, niemals die Hoffnung aufgegeben, aber all ihre Mühen hatten doch nur Unheil gebracht. Anstatt sich zu prostituieren hatte sie gestohlen, Hannah hatte darunter gelitten, und Mum war trotzdem gestorben. Anstatt in der Fabrik ihren Mund zu halten, hatte sie um Verbesserungen gebeten und war gefeuert worden. Simon war ihr wie durch ein Wunder begegnet, und für eine kurze, glückliche Zeit hatte es so ausgesehen, als ob all ihre geheimen Wünsche in Erfüllung gehen würden. Doch dann hatte sie Daughtrys Worte gehört.
Die Geschichte war lehrreich, wenn man aufpasste: Warum sollte es sie überraschen, dass wieder einmal alle ihre Hoffnungen vergeblich gewesen waren?
Fieberhaft suchte sie nach einem stichhaltigen Einwand, der nicht auf dummen Träumen beruhte. Auf Hoffnung, Vertrauen oder irgendetwas anderes, das sie im Herzen für ihren Ehemann fühlte, würde sie sich nicht verlassen können.
Aber er war ihr Ehemann. »Ich bin verheiratet«, sagte sie heiser – unsagbar erleichtert, als sie feststellte, dass das wirklich ein Einwand war. »Selbst wenn Sie recht haben und ich nie als Cornelia anerkannt werde, kann ich nicht einfach dorthin zurück, wo ich herkomme.«
Grimston brach in ein Lachen aus. Die Überraschung in seinem Gesicht war das erste echte Gefühl, seit er hier war, und der Anblick packte ihr Herz wie eine kalte Hand. »Armes Kind«, sagte er. »Ehen können heutzutage sehr leicht wieder gelöst werden.« Sie bemühte sich, keine Reaktion zu zeigen, aber sein Lachen verstummte, und er beugte sich weiter vor. »Oh«, sagte er mit öliger Stimme. »Ich sehe, dass Ihnen diese Tatsache bekannt ist.«
Nell starrte ihn an. Er stocherte in einer offenen Wunde, die mit jeder Stunde, die verging, nur noch heftiger wehtat. Sie würde ihm nicht die Genugtuung verschaffen, das zu erfahren. »Sie sollten gehen«, sagte sie.
»Fünftausend Pfund.« Er seufzte. »Aber das ist mein letztes Angebot, Miss Whitby. Sie haben eine Minute, um sich zu entscheiden.«
Fünftausend Pfund
.
Sie schluckte die aufsteigende Galle hinunter und wandte den Blick ab, besorgt, was er noch alles in ihrer Miene würde lesen können. Hinter dem kleinen, hohen Fenster sah man ein Stück vom Himmel, der ständig dunkler wurde. Die Nacht brach herein, und Simon war noch nicht hier.
Wenn er erfuhr, was geschehen war, musste er entsetzt sein. Damit waren all seine Hoffnungen auf die Erbschaft zerschlagen.
Natürlich wusste er, dass sie unschuldig war, aber was für einen Unterschied machte das noch? Er hatte gesagt, dass ihm das Geld egal wäre … dass er sie trotzdem nicht verlassen würde … aber wenn Nell nun wirklich nicht erben würde, war sie für ihn nur ein schrecklicher Fehler – und er würde ihn sein ganzes Leben lang bereuen.
Zu allem Überfluss würde sie jetzt noch ins Gefängnis kommen.
Sie schloss die Augen und kämpfte gegen die Verzweiflung. Sie musste sich an die Tatsachen halten. Weder bräuchte Simon eine Frau, die im Gefängnis saß – schon eine mittellose Frau wäre wie ein Mühlstein um seinen Hals –, noch würde sie selbst hinter Gittern leben und sterben wollen.
Das Geld von Grimston zu nehmen würde für Simon Freiheit bedeuten. Und auch für sie selbst. In Freiheit fortgehen und dieses ganze Schlamassel hinter sich lassen. Kein Gericht, um das sie sich Sorgen machen müsste. Keine quälenden Abende mehr, an denen sie vorgeben musste, jemand anders zu sein, und ständig fürchtete, jemanden zu enttäuschen. Fürchtete, dass ihr Mann – ihr Ehemann – sich von ihr abkehrte oder, schlimmer noch, die Entscheidung bereute, an ihrer Seite zu bleiben.
Eigentlich täte sie Simon einen Gefallen, wenn sie Grimstons Angebot annahm. Er brauchte Geld. Er musste von seiner Ehe profitieren.
Aber Grimstons Geld zu nehmen und Simon zu verlassen … hatte das nicht schon eine andere Frau getan?
Ihr Magen krampfte sich zusammen und sie spürte ein Brennen in den Augen. Sie biss sich in die Wange und holte stockend Luft, um die Tränen zu unterdrücken. Die Frau, die er einmal geliebt hatte – genau das hatte sie ihm angetan. Sie hatte ihm das Herz gebrochen. Viel hatte er nicht darüber
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