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Eine naechtliche Begegnung

Eine naechtliche Begegnung

Titel: Eine naechtliche Begegnung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meredith Duran
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hatte. Er konnte keinen Nutzen davon gehabt haben. Aber er hatte es trotzdem getan, weil er die Countess geliebt hatte.
    Stockend holte sie Luft. Das war wichtig. Er hatte ihre Mutter geliebt, selbst noch nach ihrem Tod. Er hatte nicht aufgehört, sie zu lieben, auch wenn es praktischer gewesen wäre, das zu tun.
    Nell versuchte, diesen Gedanken beiseitezuschieben. Aber beim Lesen verschwammen ihr die Worte vor den Augen, und ihre Hand zitterte, als sie umblätterte.
    Gestern war ihr Zorn klar und stark gewesen und hatte sie geschützt. Aber in der Nacht hatte Simons Klavierspiel den Schild zum Zerreißen gebracht, der sie vor dem trüben Chaos ihrer Gefühle schützte. Sehnsucht und das verzweifelte Bedürfnis, ihm nah zu sein, waren jetzt genauso stark wie zuvor ihre Wut.
    Sie beschwor sich, ihrem Urteilsvermögen nicht zu trauen, wenn es um ihn ging. Aber vielleicht war das falsch. Vielleicht hinderte nur ihre Angst sie daran.
    Vielleicht hatte er recht, und sie war ein Feigling.
    Als die Tür aufging, machte ihr Herz vor Vorfreude einen kleinen Hüpfer. Nell stand auf.
    Aber es war nur Polly, die im Türrahmen knickste. »Lady Katherine Aubyn für Sie, Mylady. Soll ich sagen, dass Sie zu Hause sind?«
    Sie konnte keinen klaren Gedanken fassen. »Was … was hat Seine Lordschaft gesagt?«
    »Seine Lordschaft ist gerade ausgegangen«, gab Polly zurück. »Aber Lady Katherine hat nach Ihnen gefragt, Madam.«
    Lady Katherine wartete im rosa Salon und starrte aus dem Fenster auf die feuchte Straße. Als Nell eintrat, erschrak sie und wirbelte herum, als hätte man sie bei irgendetwas ertappt. Die behandschuhten Hände hielt sie fest vor der Taille verschränkt. »Guten Morgen«, sagte sie steif. Sie trug ein dunkelblaues Tageskleid und einen passenden Hut mit schmaler Krempe, auf dem zwei ausgestopfte Wachteln in einem unwahrscheinlich steilen Winkel die Flügel erhoben.
    Wäre Nell nicht durch Mrs Hemples strenge Schule gegangen, hätte sie die beleidigende Tatsache, dass Katherine ihre Handschuhe anbehalten hatte, übersehen. Dieser Besuch diente keinem geselligen Anlass und würde nicht lange dauern.
    Nell atmete einmal tief durch und schloss die Tür. »Guten Morgen«, sagte sie.
    Katherine ging auf einen Brokatstuhl zu, war dann aber doch nicht anmaßend genug, sich einfach zu setzen, und blieb daneben stehen. »Ich … hatte gehofft, mit Ihnen sprechen zu können«, sagte sie.
    Das war eine indirekte Aufforderung, Platz zu nehmen, damit sie selbst sich ebenfalls hinsetzen könnte. Für einen Moment hielt Nell noch den Türknauf fest, ein finsterer Winkel in ihrem Herzen brachte sie beinahe dazu, einfach wieder zu gehen.
    Aber nach oben zurückzukehren hieße auch, sich dem schrecklichen inneren Kampf auszusetzen, den die Gedanken an Simon in ihr auslösten. Sie war froh über eine Ablenkung. Und als sie ihre Besucherin jetzt ansah, wurde sie neugierig. Lady Katherine trat wie ein nervöses Schulmädchen von einem Fuß auf den anderen, und ihr blasses Gesicht deutete darauf hin, dass die Situation ihr jetzt schon unangenehm war. Warum war sie hier?
    Nell ermahnte sich, auf der Hut zu sein. Dann ließ sie den Türgriff los und setzte sich.
    »Das ist furchtbar peinlich«, räumte Lady Katherine ein, als sie Nell gegenüber Platz nahm. »Ich hatte gehofft, dass wir vielleicht bei einem gesellschaftlichen Ereignis aufeinandertreffen würden, aber seit der Sache bei Lady Allenton sind Sie nirgendwo mehr aufgetaucht.«
    Nell zuckte mit den Achseln. »Jetzt sind Sie ja hier«, sagte sie. »Und ich höre zu.«
    »Ja.« Katherine holte sichtbar Luft. »Sir Grimston hat sich heute Morgen mit Rushdens Anwälten getroffen. Gibt es neue Beweise? Jedenfalls sagte er mir, dass er Ihre Forderung nicht länger anfechten würde. Er wollte Sie als meine Schwester anerkennen.«
    Langsam nickte Nell. Sie waren nicht vollkommen identisch. Katherine war insgesamt in einem größeren Maßstab angelegt. Sie überragte Nell um ein paar Zentimeter in der Höhe und hatte breitere Schultern und Hüften. Als Nell sie das erste Mal gesehen hatte, war das durch ihre Schlankheit kaschiert worden. »Und Sie? Werden Sie mich anerkennen?«
    Die andere Frau blickte auf ihre Hände hinab, die an ihrem Kleid herumgenestelt hatten und jetzt still auf ihrem Schoß lagen. »Ich lasse mich von meinem Vormund leiten.«
    Dieser spindeldürre Mann, der gefaucht und geblafft hatte? »Was ich so gesehen habe, scheint mir das keine sehr angenehme Lage zu

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