Eine private Affaere
Subtilität von Carlfords Vorgehen fiel Monkson überhaupt nicht auf, der fleißig an seinen Notizen für das Kreuzverhör arbeitete. Er gehörte zu den Barristers, die ihren Weg folgendermaßen schriftlich festlegen: »Wenn Zeuge Antwort a) wählt, weiter zu Frage 1; wenn Zeuge Antwort b) wählt, weiter zu Frage 2.«
Carlford befragte sie zügig über ihre frühere Beziehung zu mir, über ihre ersten Treffen mit Thirst, über den Tod ihrer Mutter, über unsere Entfremdung, die zur Heirat mit Thirst führte. Genau wie Feinberg ihr eingeschärft hatte, erklärte sie, daß diese Heirat nicht so sehr dazu gedient hatte, sie über meinen Verlust hinwegzutrösten, sondern eher eine Folge des unerbittlichen Drucks war, den Thirst, der unsterblich verliebte Thirst, auf sie ausgeübt hatte. Natürlich hatte sie von seinen Vorstrafen gewußt, aber man durfte nicht vergessen, daß er sich in diesem Stadium als geläutert präsentiert hatte – das war Carlfords Ausdruck. Ich erinnerte mich an den Eindruck, den Thirst damals auf mich gemacht hatte: Er war verwirrt gewesen, begierig auf neue Bücher und erschreckend aufrichtig.
»Diejenigen unter uns, die sich beruflich mit dem Strafgesetz beschäftigen, betrachten die Behauptungen von Gewohnheitstätern, sich gebessert zu haben, bestenfalls skeptisch«, sagte Carlford. »Hatten Sie einen besonderen Grund zu der Annahme, daß Oliver Thirst, von dem Sie wußten, daß er seit seiner Kindheit kriminell war, sich tatsächlich geändert hatte?«
Daisy senkte stirnrunzelnd den Blick. Es schien fast so, als wolle sie diese Frage nicht beantworten, vielleicht hatte sie sie auch gar nicht gehört. Schließlich hob sie den Kopf und sagte achselzuckend: »Liebe.«
Gemurmel im Gerichtssaal, während wir darauf warteten, daß sie weitersprach. Sogar der Richter beugte sich vor. Als klar war, daß sie nichts weiter dazu sagen wollte, meinte Carlford: »Ja, ich glaube, ich verstehe, aber vielleicht könnten Sie uns das noch ein bißchen ausführlicher darlegen, damit wir größere Klarheit bekommen.«
Jetzt ließ Daisy den Blick über die Geschworenen gleiten, sah kurz Carlford an und dann den Richter.
»Nun, es ist ziemlich schwer, darüber zu reden. Ich habe ihn geliebt. Er war eine Seele, die in der Hölle schmorte. Früher oder später muß man wenigstens einen Versuch unternehmen. Ich meine, wenn man liebt, muß man doch daran glauben, daß diese Liebe die Macht hat, jemanden zu retten, auch wenn man kein Christ ist. Worin sonst sollte denn der Sinn des Lebens liegen?«
Carlford wartete, bis ihre Antwort bei allen angekommen war. »Ich verstehe. Sie hatten das Gefühl, daß Ihre Liebe so eine Art Versicherung gegen die kriminellen Neigungen Ihres Mannes war?«
»Wenn Sie es so ausdrücken müssen.« Sie starrte ihn, wütend über seinen Zynismus, an. »Ich war entschlossen, ihm eine gute Frau zu sein. Ich war treu und habe mich um ihn gekümmert. Ich habe eine Menge in unsere Ehe investiert. Alles. Ich war mir damals sicher, daß ich stark genug wäre, ihn zu verändern.«
»Aber man könnte doch sagen, daß von Anfang an so etwas wie ein Schatten über Ihrer Ehe lag, nicht wahr?«
»Ja.«
»Und welche Gestalt nahm dieser Schatten an?«
»Die von James Knight.«
Offenbar war Thirst von mir besessen gewesen. Manchmal fragte sie sich, ob er sie nur geheiratet hatte, um über sie irgendwie an mich heranzukommen. Er bat sie immer wieder, ihm zu sagen, daß er der bessere Liebhaber sei. Doch es gab viele Gebiete, auf denen ich ihm zehn Jahre voraus war. Er redete die ganze Zeit über mich und fragte vor jeder wichtigen Entscheidung, was ich in einer vergleichbaren Situation getan hätte. Diese Besessenheit war ihr ein Rätsel, das sie nie lösen konnte.
»Nun, Mrs. Thirst, Ihre Ehe wäre nicht die erste gewesen, in der einer der Partner eine für den anderen inakzeptable Vorgeschichte hat. Gab es im nachhinein betrachtet noch etwas anderes, das Ihre Beziehung von Anfang an zum Untergang verdammt haben könnte?«
»Er war völlig verdreht!« Ihre Stimme klang unerwartet laut und kippte. Sie starrte die Geschworenen an, jeden einzelnen von ihnen. »Niemand kann ermessen, was das bedeutet, wenn er nicht damit gelebt hat. Alles, was er tat, jeder Gedanke, den er hatte, jedes Wort, jede Beziehung, war verdreht, pervers. Nicht einmal, wenn es um seine eigenen Interessen ging, konnte er ehrlich sein. Sogar wenn er einen Antrag für eine Sozialwohnung ausfüllte, mußte er lügen. Ich
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