Eine private Affaere
der Ankläger gerade …«
»… ziemlich durcheinander zu sein«, fiel sie ihm ins Wort.
Die Leute auf der Besuchergalerie lachten und verstummten sofort wieder. Der Richter wandte sich mit wütendem Gesicht von der Zeugin ab. »Mr. Monkson, ich werde nicht zulassen, daß dieses Verfahren zu einer Schmierenkomödie …«
»Irrelevant«, sagte Monkson gedrückt. »Die Frage war irrelevant.«
»Ach!« sagte der Richter. »Sir Simon Carlford?«
Carlford nickte, als überdenke er eine schwierige juristische Frage. »Inwiefern? Es wäre der Sache sehr dienlich, wenn mein Freund die Kategorie der Irrelevanz, die er meint, genauer spezifizieren würde.«
Der Richter sah Carlford mit strengem Blick an. »Ich glaube, das reicht, Sir Simon Carlford. Erkennen Sie die Irrelevanz der Frage, nachdem Sie Zeit gehabt haben, darüber nachzudenken, an oder nicht?«
Carlford sah eine ganze Weile zur Decke hinauf und warf dann einen Blick auf seine Uhr. »Möglicherweise. Im Interesse eines zügigen Verfahrens ziehe ich meine Frage zurück. Würden Euer Ehren dies als geeigneten Moment für eine Mittagspause erachten?«
[36]
Carlford hätte nicht geschickter vorgehen können. Wenn die Geschworenen genug über Monksons komische Verzweiflung gekichert hätten, würden sie die restliche Mittagspause damit verbringen, sich über Lesbierinnen und die ungeheuerliche Wortwahl des hochangesehenen Sir Simon Carlford auszulassen. Der erste Eindruck von der schießenden Daisy war jetzt zurückgedrängt, vielleicht sogar ganz ausgelöscht. Dieser Effekt würde sich noch verstärken, wenn die Geschworenen die Schlagzeilen der Abendzeitungen sahen, die sie eigentlich nicht sehen sollten: A NGESEHENER Q. C. NENNT Z EUGIN KESSEN V ATER . Die Aussage dieser Zeugin wäre in ihrem Bewußtsein immer belastet, nicht wegen ihrer Homosexualität, sondern weil die Leute über sie gelacht hatten. Und wichtiger noch, ihr Glaube an die Kompetenz der Anklage hatte dauerhaften Schaden genommen.
Während die Leute den Gerichtssaal verließen, machte ich jemandem, den ich auf der Besuchergalerie entdeckt hatte, ein Zeichen. Er wartete am Ausgang des Old Bailey auf mich.
James Hoggs Gesicht und Figur waren von den Spuren des beginnenden Alters gezeichnet. Seine glatten, feisten Wangen wirkten androgyn, und sein ehemals mächtiger Körper schwabbelte nun walroßartig unter seinem Hemd. Er trug einen Priesterkragen.
»Ich habe fast damit gerechnet, daß Sie kommen«, sagte ich.
»Ich war mir nicht ganz schlüssig, ob ich kommen sollte oder nicht. Welche Entscheidung kann ein Gericht schon in Seelenangelegenheiten fällen?«
»Also haben Sie wieder zu Gott gefunden?«
»Nicht wieder. Früher war es nur Frömmelei. Oliver Thirst war ein Instrument Gottes, das mich erkennen ließ, wie armselig ich war. Letztendlich hat meine Lust meinen Stolz zerstört, aber so sind nun mal die verschlungenen Wege des Geistes.«
»Und jetzt?«
»Jetzt bin ich ein fetter, geschlechtsloser Beobachter, aber das sehen Sie ja selbst. Doch an den guten Tagen gehe ich an der Seite Gottes.«
Die Straßen waren so voll mit Leuten auf der Suche nach etwas Eßbarem, daß wir uns etliche Male über die Köpfe von Männern und Frauen hinweg unterhalten mußten, die sich zwischen uns drängten. Eine Frau drehte sich um und sah Hogg an, als sie ihn das Wort »Gott« sagen hörte. Aber sie wandte sich achselzuckend ab, als sie merkte, daß er Priester war.
Er ging mit schweren Schritten, als ziehe die Erde seinen gewaltigen Körper fast unwiderstehlich an.
»Ich habe beschlossen zu kommen, weil ich heute nacht einen Traum hatte«, sagte er. »Oliver kam darin vor. In dem Traum war er überirdisch schön, wie ein Engel. Er war mit einer Gruppe von Menschen, ganz ähnlich wie er selbst, zusammen, denen es allen gutzugehen schien. Dann wandte er sich von der Gruppe ab, um mit mir zu sprechen. In seiner Stirn war ein kleines rotes Loch. Er wollte etwas über Daisy sagen, aber da wachte ich auf.«
Wir gingen zu einem überfüllten Sandwichladen. Die Hektik, mit der die Leute dort ihre Mahlzeiten bestellten, stand im krassen Gegensatz zu dem gesetzten Fortschreiten von Daisys Verhandlung. Im Gerichtssaal hatte ich die Behäbigkeit der Rechtsfindung gehaßt, doch hier erinnerte ich mich mit einem Gefühl der Nostalgie daran. Letztlich lag das jedoch nur daran, daß ich ziemlich nervös war und nirgendwo Ruhe finden konnte. Im Gerichtssaal hatte ich Hunger gehabt und gedacht, ich müßte
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