Eine skandalöse Braut
sitzen gelassen hat.«
»Ich … verstehe.« Das war wichtig, aber die Erklärung berührte zweifellos auch wieder seinen alten Schmerz. Sophia war verlegen. »Das tut mir leid.«
»Die Briefe trafen ein, und kurz darauf erfuhr ich von ihrem Tod.«
Es ergab zunehmend weniger Sinn. »Wenn sie nicht wusste, dass sie sterben würde, dann … Oh.« Sophia verstummte. Die sich daraus ergebende Erkenntnis war unausweichlich. »Ach du meine Güte. Sie hat Selbstmord begangen.«
»Nicht ganz«, sagte er auf seine gewohnt ruhige und gelassene Art.
»Nicht ganz? Was zum Teufel soll das denn heißen? Entweder sie hat oder sie hat nicht. Dazwischen gibt es doch wohl nichts.«
»Das stimmt.« Seine Miene wirkte auf sie geradezu teuflisch, so hatte sie den reservierten Sir Richard Havers noch nie erlebt. »Anna ist nämlich sehr lebendig.«
»Mylord, da wartet ein Besucher auf Euch.«
Wenn der höchst würdevolle Oates selbst aus dem Haus kam und nicht einen der Lakaien schickte, handelte es sich bei dem Besucher zweifellos um eine wichtige Persönlich-
keit.
»Der Marquess of Longhaven«, psalmodierte der Butler, »wartet auf der hinteren Terrasse auf Euch. Seine Lordschaft hat betont, er bevorzuge es, bis zu Eurer Rückkehr draußen zu sitzen.«
Michael war hier? Das versprach, interessant zu werden.
»Wir kommen gleich.« Alex stieg aus dem Sattel und warf die Zügel seines Pferds einem wartenden Stallburschen zu. Dann half er seiner Frau vom Pferd. Sie waren seit ihrer Ankunft in Berkeley Hall jeden Morgen ausgeritten. Das herrliche Wetter ergänzte sich hervorragend mit der Glückseligkeit, die ihn als frisch verheirateter Mann beseelte. Der blaue Himmel würde nicht für immer bleiben, und sie wollten ohnehin schon bald nach London zurückkehren. Aber jetzt schien die Sonne noch, seine Familie akzeptierte seine Braut rascher, als er zu hoffen gewagt hatte – sogar sein Vater wirkte entspannt – kurz: Er schätzte sich wahrlich glücklich.
Amelia blickte ihn aus ihren strahlend blauen Augen fragend an. »Du hast ihn erwartet?«
»Nein.« Er nahm ihre Hand. Die Finger verhakten sich ineinander, während sie Seite an Seite die Stufen zum Haus hochstiegen. »Aber da er nichts tut, ohne einen wirklich guten Grund dafür zu haben, gehe ich davon aus, dass dieser überraschende Besuch einen besonderen Zweck hat. Warum gehst du nicht nach oben und ziehst dich um? Ich gebe zu, ich bin neugierig. Ich möchte schnell erfahren, warum er hier ist.«
Neugierig ist noch untertrieben, dachte er und blickte seiner Frau nach, die durch den Gang davonschritt. Er konnte nur schwerlich dem sanften Wiegen ihrer Hüften widerstehen und wartete, bis sie verschwunden war. Erst dann eilte er zur Terrasse hinter dem Anwesen.
Michael wartete dort auf ihn. Er lehnte sich entspannt auf einem Stuhl zurück und blickte in den Garten. Neben ihm stand auf einem Tischchen eine Tasse Tee. Wie immer war seine Haltung ungezwungen. Die Füße waren gekreuzt, seine Miene war gelassen.
Als Alex auftauchte, blickte er auf und schenkte ihm sein typisches Lächeln. Ein Lächeln, das nichts von seinen wahren Gefühlen preisgab. Dann schob er die Hand in die Tasche und zog ein kleines, rechteckiges Kästchen heraus. »Ich hoffe, es stört dich nicht, dass ich ohne vorherige Anmeldung vorgesprochen habe. Schließlich genießt du gerade deine Flitterwochen. Wenngleich ich sie an deiner Stelle wohl kaum mit der eigenen Familie verbringen würde.«
»Mir blieb keine Zeit, um eine Hochzeitsreise zu planen. Die Umstände ließen es nicht zu. Ich wollte die Angelegenheit mit meinem Vater so schnell wie möglich in Ordnung bringen.« Alex setzte sich zu ihm. Neugierig betrachtete er das Kästchen, ehe er es entgegennahm. »Was ist das?«
»Dein kostbarer Schlüssel.«
Er nahm das Kästchen entgegen und fuhr mit dem Zeigefinger über den verschnörkelten, goldenen Verschluss. Er öffnete das Kästchen. Auf rotem Samt lag der schwarz angelaufene Silberschlüssel. »Wo hast du ihn gefunden?«
»Sagen wir einfach, ich finde, der Earl ist sehr einfallslos. Wollen wir es dabei belassen? Nach ein paar diskreten Fragen fand ich heraus, dass er die komplette bewegliche Habe seines Vaters an einem Ort aufbewahrt, und der Schlüssel befand sich unter den Sachen.« Seine haselnussbraunen Augen blickten Alex an. Etwas Belustigtes blitzte in ihnen auf. »Wenn der Krieg auch sonst zu nichts nutze war, hat er doch meine Kombinationsgabe geschult. Es war nicht allzu
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