Eine Socke voller Liebe
wie eine
Närrin, und ihr fiel die biblische Geschichte vom „Tanz um das goldene Kalb“
ein. War das nicht fast heidnische Götzenverehrung? Dieser Prunk um den
bescheidenen Jakobus! Das passte doch einfach nicht zur Einfachheit des Pilgerns.
Einmal mehr fühlte sie sich fehl am Platze und machte sich
daran, eilig die Kathedrale zu verlassen.
Vor dem Altarraum waren sechs Männer damit beschäftigt, das
Botafumeiro, das riesige Weihrauchfass, in seine Seile zu hängen.
„Das könnte bedeuten, dass es später in der Pilgermesse
geschwenkt wird“, vermutete Andrea, die ihrer Freundin hinterher geeilt war „da
hätten wir aber Glück! Denn das ist nicht oft der Fall. Dafür ist es viel zu
aufwändig.“
„Schön. Aber jetzt muss ich hier raus“, drängte Sabine und
eilte weiter dem Ausgang zu.
„Was ist los? Hat dich der goldene Jakob erschlagen?“, fragte
Andrea, als sie draußen standen.
„Ich kam mir auf einmal so fürchterlich bescheuert vor, als
ich da hinter dem stand“, erklärte Sabine ihre Reaktion, „wie eine hirnlose
Götzenverehrerin. So richtig dumm und fremdgesteuert!“
„Du musst das nicht so ernst nehmen“, versuchte Andrea sie zu
erheitern, „ich fand das irgendwie lustig und habe festgestellt, dass man von
dort aus den besten Ausblick in die Kirche hat, ohne selbst gesehen zu werden.
Für frühere Geistliche war das bestimmt ein toller Posten, um Pilger bei der
Verrichtung ihrer Gebete zu beobachten. Denen konnten sie dann hinterher sagen,
dass sie nicht andächtig genug waren und ihnen noch mehr Bußen aufbrummen.“
Andrea hatte mordsmäßigen Spaß an ihrer Entdeckung und ließ
ihrer Phantasie freien Lauf.
Sabine amüsierte sich zwar über Andreas Theorie, kam sich
aber trotzdem irgendwie „verloren“ vor. Die Freundin hatte ja Recht. Sie musste
sich nicht mit alten Pilgerbräuchen identifizieren.
Andrea dagegen war in ihrem Element: „Ach, da fällt mir ja
noch etwas ein. Das habe ich heute Morgen in unserem Reiseführer gelesen“,
erzählte sie, „die Geschichte von den Brüstchen.“
„Was für Brüstchen?“, fragte Sabine neugierig und musste nun
auch lachen.
„Na, denen von der nackten Schönen, die schräg gegenüber des
Jakobusdenkmals auf einem Pfeiler steht.“
„Die musst du mir unbedingt erzählen.“
„Komm, wir gehen noch mal rein und gucken uns das an“, schlug
Andrea vor und zog Sabine am Arm hinter sich her. Dann zeigte sie mit dem
Finger auf die Statuen und las vor: „Also: ‚Links neben der Mittelsäule des
Heiligen Jakobus stehen auf einem Pfeiler die Propheten Jeremias, Jesaja, Moses
und Daniel. Letzterer verzückt lächelnd. Nach Meinung des Volkes freute er sich
über die von Kennerhand gearbeitete barbusige Schönheit gegenüber. Die
Kirchenoberen ließen daraufhin die für diese unschicklichen Spekulationen
verantwortlichen Brüste abflachen. Die Bauern, so erzählt die Geschichte, protestierten
auf ihre Weise: Sie formten einen Käse nach Vorbild des Corpus delicti und
nannten ihn ‚Tetilla‘, das heißt Brüstchen‘. Den soll man hier übrigens überall
in den Geschäften kaufen können“, Andrea klappte den Wanderführer zu und schlug
dann vor: „Was hältst du davon, wenn wir uns vor den Dom in eine Bar setzen und
unsere Ankunft erst einmal mit einem Bierchen begießen?“
„Sehr viel“, entgegnete Sabine, „und so einen Käse müssen wir
unbedingt auch probieren.“
Nachdem sie sich gestärkt und dem Treiben der vielen Menschen
auf dem Praza do Obradoiro vor der Kathedrale, der als einer der schönsten
Plätze Europas gilt, zugeschaut hatten, galt es die Formalitäten zu erledigen.
Sie reihten sich in die Schlange der Pilger ein, um im
Pilgerbüro ihre Pilgerurkunde, die Compostella, abzuholen, den Nachweis für
ihre Pilgerreise. Stolz nahmen sie die nostalgisch aufgemachten und in
lateinischer Sprache geschriebenen Exemplare in Empfang. Anschließend machten
sie sich auf den Weg zu Señora Rodriguez, um die angebotene Unterkunft zu
besichtigen.
Über eine knarrende Holztreppe führte die Spanierin die
Frauen in das kleine Appartement, das sie hellauf begeisterte. Im Schlafzimmer
stand ein breites Metallbett. Das Kopfende des Gestells war nostalgisch schön
verschnörkelt. Davor kuschelten sich verschiedene Kissen aneinander, deren
weiße und pastellfarbig geblümte Bezüge mit Rüschen verziert waren. Das
Blumenmuster der Bettwäsche wiederholte sich in den zur Seite gerafften
Gardinen.
Über den Betten hing ein
Weitere Kostenlose Bücher