Eine Stuermische Nacht
Sieg.
»Ist er tot?«, fragte Jeb Brown ohne viel Umstände über das Kreischen des Windes und die Regensalven hinweg, die gegen die Mauern und Fensterscheiben des besten Zimmers im Gasthaus »Zur Krone« prasselten. Es war ein hübscher Raum mit hohen Decken und unverputzten Balken, einem Boden aus schimmernden Eichendielen, auf dem hier und da fröhlich bunte Teppiche lagen, dominiert von dem riesigen Bett mit seinem üppigen grünen Seidenhimmel. Ein Feuer in dem gemauerten Kamin spendete orange-goldenes Licht; der weiche gelbe Schein der Kerzen, die Mrs Gilbert, die verwitwete Wirtin des Gasthofs, angezündet hatte, flackerte durch das Gästezimmer und vermittelte trotz des tobenden Sturmes einen Anflug von Behaglichkeit.
Mrs Gilbert, die ihr von vielen grauen Strähnen durchzogenes Haar halb unter einem Musselinhäubchen verborgen trug, schüttelte kurz den Kopf.
»Nein, er ist nicht tot. Halb ertrunken und fast erfroren, aber nicht tot.«
Jeb schaute zu der anderen Person im Raum, einem hochgewachsenen Burschen mit blondem Haar, der Hosen, Stiefel und einen Lederrock über einem weiten langärmeligen Hemd trug. Wenn man weiter als nur auf die Kleidung schaute, ließ sich leicht erkennen, dass die schlanke Gestalt und die fein gezeichneten Züge einer jungen Frau gehörten, die ihr silberblondes Haar mit einem schwarzen Band zu einem Zopf im Nacken zusammengebunden hatte.
»Ich sage Ihnen, Miss Emily, es war pures Glück, dass ich ihn überhaupt entdeckt habe«, sagte Jeb, und sein zerfurchtes Seemannsgesicht verriet seine Verwunderung.
»Bei dem Sturm und allem anderen ist es draußen stockdunkel, und wenn nicht dieser verfluchte Blitz in genau der Sekunde gewesen wäre, als ich in seine Richtung sah, hätte ich ihn nie bemerkt.« Er schüttelte den Kopf.
»Gut für ihn, dass wir heute Nacht eine Fahrt hatten, sonst hätten wir seine Leiche irgendwann an den Strand gespült gefunden – wenn überhaupt.«
Emily Townsend nickte, kam näher und musterte den Mann, den Jeb aus dem Ärmelkanal gefischt hatte, eindringlich.
»Er hatte wirklich Riesenglück«, erklärte Emily, während ihr Blick über den Fremden wanderte, der während Mrs Gilberts Untersuchung ganz still und stumm dalag. Sein Haar war schwarz und seine Haut so dunkel, dass man ihn fast für dunkelhäutig hätte halten können – bis auf den besorgniserregenden Blauton seiner Lippen. Anhand dessen, was sie erkennen konnte, würde sie sagen, er war ein großer kräftiger Mann – der ihnen allen restlos unbekannt war.
Mrs Gilbert bemerkte halblaut:
»Er hatte höllisches Glück, würde ich sagen.« Sie schaute von ihrer Untersuchung auf und fügte knapp hinzu:
»Und wird sich vermutlich gänzlich erholen, ohne einen Schaden davonzutragen.« Als sie über ihre Schulter schaute, ruhte ihre Hand bereits auf den nun kalten, durchweichten Decken, in die Jeb den Fremden gewickelt hatte, nachdem er ihn an Bord seines Bootes gehievt und ihm die nassen Kleider ausgezogen hatte.
»Miss Emily, Sie müssen nun das Zimmer verlassen«, verlangte sie, »damit Jeb und ich ihm ein Nachthemd überziehen und ihn ins warme Bett stecken können.«
Als Emily zögerte, wurde Mrs Gilberts rundliches Gesicht weich, und sie erklärte:
»Ich weiß, Sie haben ein Dutzend Fragen an Jeb, aber bitte gehen Sie jetzt und holen Sie die Flaschen mit dem heißen Wasser, die ich in der Küche liegen habe.« Emilys Kinn reckte sich eindeutig störrisch, was alle nur zu gut zu deuten wussten, daher verkündete die Wirtin fest:
»Es würde sich nicht ziemen, wenn Sie blieben. Bis Sie wieder zurück sind, haben wir ihn warm und behaglich unter der Decke. Und jetzt gehen Sie.«
Emily schnaubte über Mrs Gilberts Entschlossenheit, sie wie eine wohlerzogene junge Dame aus bester Familie und frisch aus dem Schulzimmer zu behandeln. Es stimmte zwar, sie stammte aus einer guten Familie – ihr Vater war bis zu seinem Tod vor sieben Jahren ein wohlhabender Gutsbesitzer gewesen – aber sie war vor Monaten bereits sechsundzwanzig geworden und daher kein Kind mehr. Und , erinnerte sie sich selbst, wenn ich nicht wäre, hätte Jeb heute Nacht keine Schmuggelfahrt von Frankreich hierher unternommen und der Fremde wäre nicht entdeckt und gerettet worden . Sie hatte jedes Recht, hierzubleiben, aber aufgrund früherer Erfahrung wusste sie, es war witzlos, Mrs Gilbert zu widersprechen. Daher verließ sie nur leicht zögernd den Raum. Sie neigte grundsätzlich nicht dazu, lange zu
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