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Eine Sünde zuviel

Eine Sünde zuviel

Titel: Eine Sünde zuviel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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nicht wahr?«
    »Ja. Untersuchung, ob eine partielle Keratoplastik möglich ist.«
    »In zehn Minuten bei mir.«
    Professor Siri sah noch einmal auf das wartende, lauschende Gesicht Luise Dahlmanns. Er hatte in den vielen Jahren seiner Chirurgentätigkeit schon viele Blinde gesehen, und immer war ihm beim Anblick der toten Augen der Gedanke gekommen: Was denken sie jetzt? Wie ungeheuer groß muß ihr Glaube sein.
    »Guten Tag, signora –«, sagte Professor Siri kurz in deutscher Sprache. Dann verließ er so schnell, wie er gekommen war, wieder das Zimmer. Die Tür fiel hinter ihm zu, als sei ein Wirbelwind durch den Raum gefegt. Aufatmend rückte Schwester Angelina ihr weißes Häubchen zurecht.
    »Wer war denn das?« fragte Luise, als niemand etwas Erklärendes sagte.
    »Das war eine Visite, signora.« Die Stimme Schwester Angelinas bebte noch immer. »Jeden Morgen um elf Uhr bläst hier ein Sturm. Und das war der Chef selbst, Professor Siri.«
    Luise atmete tief auf. »Er hat etwas gesagt … ich kann nicht Italienisch … Was hat er gesagt?«
    »In zehn Minuten untersucht er Sie, signora. Dr. Saviano wird Sie abholen. Aber wir haben Zeit … wenn es in zehn Minuten heißt, kann es auch eine halbe Stunde werden.«
    »Typisch Italien!« sagte Fräulein Pleschke gehässig.
    Schwester Angelina lächelte milde.
    »Aber wir leben glücklich dabei«, sagte sie freundlich. »Ist das nicht die Hauptsache, signora …?«
    *
    Das Untersuchungszimmer Professor Siris hatte nichts gemein mit den üblichen Arztpraxen. Es glich mehr einem Laboratorium und einem Maschinensaal, als einem Raum, in dem man Diagnosen stellt. Große und kleine Apparate mit Skalen und Zeigern, Tabellen und Mattscheiben standen herum, Scheinwerfer, maschinenpistolenähnliche Geräte, aus denen aber keine Kugeln, sondern gebündelte Lichtstrahlen schossen, EKGs und Oszillographen, auf deren Mattscheiben die Pulswellengrößen als elektronische Punkte und Wellen tanzten. Inmitten dieses Gewirrs von medizinischer Technik saß Professor Siri auf einem einfachen, alten Holzstuhl.
    Er sprang auf, als Dr. Saviano Luise Dahlmann hereinführte, küßte ihr die Hand und sagte durchaus nicht floskelhaft: »Sie sehen aus, signora, als hätten Sie im letzten Jahr nichts anderes getan, als nur in der Sonne gelegen. Es freut mich immer, wenn meine Patienten nicht niedergedrückt, sondern lebensfroh zu mir kommen. Und nun wollen wir einmal sehen, was mit Ihnen los ist. Ich habe Ihre Krankengeschichte genau studiert, auch den Bericht vom Kollegen Bohne in Münster –«
    »Dann wissen Sie ja, Herr Professor, daß bisher alles fehlgeschlagen ist.« Die Stimme Luises war fest und klar. Siri hob die Schultern.
    »Wenn ich Gott wäre, würde ich sagen: Du sollst sehen …! So aber müssen wir um dieses bißchen Licht kämpfen. Aber auch dieser Kampf hat etwas Schöpferisches an sich. Es gab eine Zeit, da nannte man die Hornhautübertragung die ›heilige Operation‹. Heute ist sie fast zu einer Routine geworden …«
    Das klang stolz und selbstbewußt, aber es war zugleich tröstend und stärkend. Dr. Saviano führte Luise Dahlmann zu einem bequemen Sessel. Sie setzte sich und spürte, wie zwei Finger vorsichtig ihre Lider anhoben. Professor Siri betrachtete die verätzte Hornhaut des einen und die transplantierte und wieder getrübte Cornea des anderen Auges. Dabei sprach er unentwegt, mit einer ruhigen, gütigen Stimme.
    »Man kennt viele Erfolge, signora … Der erste Arzt, der eine erfolgreiche Hornhauttransplantation vornahm, war übrigens ein Deutscher, der Dr. Eduard Zirm in Olmütz. Das war im Jahre 1905. Und dann kam die ganz große Stunde der Augenchirurgie … Wladimir Petrowitsch Filatow in Odessa machte über tausend Hornhautüberpflanzungen und entwickelte die Technik, die wir heute noch im Großen anwenden. Und doch mache ich es wieder anders, und immerhin … wir haben Erfolg, nicht wahr, Giulio?«
    »Ja, Herr Professor«, sagte Dr. Saviano.
    »So, und jetzt wollen wir einmal tief ins Auge sehen.«
    Siri winkte. Dr. Saviano rollte eine komplizierte Apparatur heran. Vorsichtig drückte er das Kinn Luises auf einen gepolsterten Metallbügel und die Stirn gegen eine runde Kopfstütze. »Bitte nicht bewegen, signora«, sagte er dabei. Professor Siri schob seinen Stuhl heran.
    »Ich will Ihnen erklären, was wir machen«, sagte er. »Nicht, um Sie zu unterhalten, sondern damit Sie wissen, daß wir alles tun, um Ihnen zu helfen. Sie sitzen jetzt vor einem Gerät,

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