Eine Sünde zuviel
möglich stop prof, siri erwartet sie gegen elf uhr stop es ist mit einem klinikaufenthalt von mindestens drei wochen zu rechnen stop erwarten nachricht ob termin angenehm stop clinica st. anna, bologna«
Luise wandte den Kopf ab und trat einen Schritt hinaus auf den Balkon. Über ihr Gesicht zuckte es. Es kostete sie Mühe, aufrecht zu stehen und nicht mit einem Schrei die Arme hoch emporzuwerfen und vor Glück und Befreiung zu weinen.
»Wann … wann ist der 23.?« fragte sie leise.
»In drei Tagen, Madame.«
»Danke.«
Das Zimmermädchen legte das Telegramm auf das silberne Tablett zurück.
»Kann ich gehen, Madame?«
»Ja. Und haben Sie herzlichen Dank.«
»O bitte, Madame.«
Als Fräulein Pleschke vom Zeitungskauf zurückkam und empört berichtete, daß ein junger Mann, sicherlich ein Italiener, sie auf der Promenade mit den Worten angesprochen habe: »Hallo, signorina … amore gutt?«, hatte sich Luise schon so weit beruhigt, daß sie den Plan, den sie in all den Tagen immer wieder durchdacht hatte, Schritt für Schritt durchzuführen bereit war.
»Wir werden verreisen, Erna«, sagte Luise in den Wortschwall Fräulein Pleschkes hinein.
»Verreisen?«
»Nach Bologna.«
»Nach Italien? Ich habe im Augenblick gerade genug von den Italienern.«
»Lesen Sie bitte das Telegramm. Es muß dort auf dem Tisch liegen –«
Fräulein Pleschke las die Nachricht aus Bologna und sah Luise Dahlmann erschrocken an.
»Soll das heißen, daß Sie sich wieder operieren lassen?« fragte sie fast entsetzt.
»Ja.«
»Heimlich?«
»Ja. Darum haben wir jetzt viel zu besprechen, Erna. Ich muß Sie zu meiner Mitverschworenen machen. Sie wissen, daß mein Mann keine neue Operation mehr will, um mir die Belastung zwischen Hoffnung und Mißlingen zu ersparen. Darum will ich jetzt allein die letzte Möglichkeit versuchen, aber wirklich die letzte. Noch einmal, das weiß ich, halte ich es nicht aus. Professor Siri in Bologna ist meine letzte Station. Mißlingt die Operation auch, so soll mein Mann nie davon erfahren … gelingt sie, so soll es die große Überraschung werden. Sie müssen ab sofort über alles schweigen, Sie müssen mitspielen, Erna –«
»Ja –«, sagte Fräulein Pleschke leise und erschüttert. »Aber Ihr Mann wird doch wissen wollen, wie es Ihnen hier in Montreux geht, und ich –«
»Sie werden mich nach Bologna bringen und dann zurückfahren nach Montreux. Jeden dritten Tag schicken Sie ein Tonband ab. Ich werde sie vorsprechen und Sie werden sie unauffällig numerieren, damit sie nicht durcheinanderkommen. Die Tonbänder meines Mannes schicken Sie mir weiter nach Bologna.«
»Und wenn er anruft?«
»Das hat er noch nie getan. In dieser Hinsicht ist er sparsam. Was er wissen will, hört er ja vom Band. Und wenn er wirklich anruft … ich bin beim Friseur oder beim Arzt … es wird Ihnen schon etwas einfallen.« Luise griff nach Erna Pleschkes Hand und hielt sie fest. »Wir sind jetzt zwei Verschwörer, Erna …«, sagte sie eindringlich. »Und ich bin auf Ihr Schweigen angewiesen, auf Ihr Mitspielen –«
Fräulein Pleschke legte die andere Hand beruhigend auf die bebenden Finger Luises. »Sie wissen –«, sagte sie mit zitternder Stimme, »daß ich alles für Sie tue. Ich – ich habe solche Angst, daß es wieder vergeblich sein könnte …«
»Daran wollen wir nicht denken, Erna. In drei Tagen müssen wir in Bologna sein … bis dahin haben wir noch viel zu tun … wir müssen mindestens vier Wochen vorarbeiten …«
*
Die Klinik Professor Siris lag außerhalb Bolognas in einem Pinienwald, umgeben von einer hohen Mauer, als sei sie ein Gefängnis oder eine geschlossene Anstalt. Aber dieser erste Eindruck verwischte sich, wenn man durch das breite, schmiedeeiserne Tor rollte und nach einer Biegung der Auffahrt plötzlich vor einem der wundersamen, weißen Paläste stand, wie sie nur die Italiener der Renaissance zu bauen verstanden.
Von diesem Palazzo erzählte man sich in der medizinischen Welt Wunderdinge. Hier, in der Abgeschiedenheit, umgeben von herrlichen Parkanlagen und Wasserspielen, in einem Operationssaal, dessen Boden aus kunstvollem, geschliffenem Marmor bestand und eine Dionysosszene darstellte, vollbrachte Professor Dr. Battista Siri Operationen, die man in Fachkreisen zunächst ungläubig und dann sprachlos aufnahm. »Siri ist entweder ein Verrückter, der bisher unverschämtes Glück gehabt hat … oder ein Genie, wie es alle hundert Jahre einmal geboren wird«, sagte einmal
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