Eine Tankstelle fuer die Seele
eine Art Lebensplan, der unserem Weg zugrunde liegt? Meine langjährigen Erfahrungen in der Praxis sprechen ganz dafür, dass es diese innere ordnende und zielstrebige Kraft gibt, die unsere Entwicklung leitet. C.G. Jung hat diesen inneren Kern »Selbst« genannt, den »anordnenden Archetyp« (s. Kapitel »Archetypen«), der zur Verwirklichung unseres inneren Programms, zur Entfaltung des in uns angelegten Plans drängt. So wie aber der Baum im Apfelkern noch nicht zu sehen ist, entzieht sich auch uns unser ganzes Bild, so lange, bis es vollständig realisiert ist. Aber wer kann nicht mitfühlen mit Thomas, den man den Ungläubigen nennt, weil er erst seine Finger in die Wunden von Jesus legen, bevor er an seine Auferstehung glauben wollte? Jesus gewährte ihm diese Bitte, pries aber gleichzeitig diejenigen, die nicht sehen und doch glauben. So jedenfalls berichtet uns das Evangelium.
Ende gut – alles gut?
Schwierig ist dieses Vertrauen vor allem dann, wenn sich der Prozess in eine andere Richtung entwickelt, als man es sich wünscht oder vorgestellt hat. Auch wenn wir vielleicht schon öfter erfahren haben, dass es trotzdem am Ende gut wird oder vielleicht sogar besser als das ursprünglich Ersehnte, fällt es uns immer wieder schwer, Kontrolle loszulassen. Aber genau das ist in jedem Prozess an irgendeiner Stelle gefordert: loszulassen und zu vertrauen. Und genau dann zeigt sich oft der Weg bzw. das Ziel am deutlichsten. Erst jetzt, nachdem er sich gezeigt hat, kann mit aller Konsequenz und Willenskraft der Weg weitergegangen werden.
Eine alkoholabhängige Frau, die von ihrer Freundin zu einem Besuch bei mir gedrängt worden war, kam in meine Praxis. Von Anfang an spürte ich, dass ich keine Chance hatte, auf eine meiner Fragen eine wirklich ehrliche Antwort zu erhalten. Als Grund für ihr Kommen gab sie ihre Freundin und ein paar kleine »Zipperlein« an, von Alkohol kein Wort. Dennoch wollte sie eine zweite Therapiestunde für eine Musikreise vereinbaren. Mit dem ersten Musikstück sah sie sich in einem See schwimmen, was sie als sehr angenehm beschrieb. Mit dem Wechsel der Musik wurde sie plötzlich unruhig und beschrieb sich als ertrinkend. Nach und nach ergriff sie eine reale Panik, sie war ganz im Bild des Ertrinkens aufgegangen und zeigte echte körperliche Symptome. Sie rutschte unruhig auf der Liege hin und her und atmete hektisch. In ihrem inneren Bild ging sie unter, weil keine Rettung in Sicht war. Sie sank in die Tiefe des Sees hinunter, entspannte sich ganz plötzlich wie in einer Art innerem Loslassen und beschrieb die Situation jetzt als »erlösend«. Dort, am Grunde des Sees, blieb sie eine Weile, bis sie mit dem Ende der Musikreise wieder auftauchte. Sie war vollkommen ergriffen von dieser Erfahrung und wollte erst einmal überhaupt nicht darüber sprechen. Sie bat um etwas Zeit für die Entscheidung, ob sie weitere Stunden vereinbaren wolle. Bereits am nächsten Tag rief sie an und bat um einen weiteren Termin. Es wurde schließlich – trotz des schwierigen Starts – eine sehr fruchtbare Zusammenarbeit. Zwar gab es heftige Aufs und Abs, Zweifel an der Wirksamkeit dieser Arbeit, aber am Ende doch ein klares »Ja« dazu. Dieses Durchhalten, das sie sehr stolz machte, war dann auch das Vorbild für den nächsten Schritt, nämlich eine Entziehungskur zu machen – die sie wirklich durchgehalten und erfolgreich beendet hat.
Vertrauen will gelernt sein
Die Wandlungsprozesse in der Natur können uns Vorbild sein für die vielen Stirb- und Werdeprozesse in unserem Leben. Jedes Jahr im Frühling erleben wir das Wunder, dass aus scheinbar Totem neues Leben aufbricht. Auch der umgekehrte Prozess ist beeindruckend, wenn sich die sommerliche Fülle dem Ende zuneigt, alle Prozesse in der Natur langsam zum Stillstand kommen und das Leben scheinbar stirbt. Genau dieses Geschehen findet in unserem Leben ebenso unerbittlich statt, auch wenn wir heute »forever young« sein möchten. Auch hier geht es darum, dem Prozess zu vertrauen, den wir nicht wirklich beeinflussen können.
Beziehung und Partnerschaft sind Bereiche, in denen das Vertrauen in den Prozess eine ganz wichtige Rolle spielt. Es beginnt mit dem Verlieben und dem Schwur der ewigen Treue oder mit dem Versprechen der ewigen Freundschaft. Nach einer gewissen Zeit wird dann nicht selten der Schleier brüchig, der wie schützend oder verbergend über den Partner und die Beziehung gelegt wurde. Jetzt offenbart sich plötzlich der eine oder andere
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