Eine Tiefe Am Himmel
voller Größe hätte keine Mühe, eine Senkrechte mit zwei Halteseilen hinaufzuklettern – solange die Seile hielten. Ebenso wie die Schnur und die Wand beobachtete sie die Tür unten. Komisch, dass sie sich bisher keine Sorgen wegen möglicher Störungen gemacht hatte. Doch der Erfolg war so nahe. Es wäre alles umsonst, wenn einer der Idioten ausgerechnet jetzt auf den Gedanken käme, nach ihnen zu sehen. Nur noch ein, zwei Meter…
Sie streckte die Hände durch das Fenstergitter und hängte sich nahe an der frischen Luft hin. Es war kein Platz, um ordentlich zu sitzen, und die Gitterstäbe standen zu dicht – nicht einmal ein Baby wäre durchgekommen – aber ach, die Aussicht! Sie befanden sich oben in einem der riesigen neuen Gebäude, mindestens dreißig Etagen hoch. Aus dem Himmel war eine wirbelnde Wolkendecke geworden, und der Wind drückte heftig gegen das Fenster. Ihr Blick hinab wurde teilweise von den Oberkanten des Gebäudes verdeckt, doch Weißenberg lag vor ihr ausgebreitet wie ein schönes Modell. Sie konnte geradewegs eine Straße entlang schauen, sah Busse, Autos, Leute. Und wenn sie zu ihr hochschauten… Viki entfaltete das Jackenfutter und schob es durchs Gitter. Der Wind riss es ihr fast weg. Sie hielt sich besser fest, zerriss den Stoff mit Handspitzen. Das Zeug war so dünn! Sachte! Sorgfältig zog sie die Enden zurück, band sie an vier verschiedenen Stellen fest. Jetzt breitete der Wind das bunte Quadrat über die Seite des Gebäude hinweg aus. Der Stoff knatterte im Wind, hob sich manchmal und verdeckte das Fenster, fiel dann wieder gegen die Wand außerhalb ihrer Sicht.
Ein letzter Blick auf die Freiheit: Drüben, wo sich Land und hängende Wolken berührten, verschwanden Hügel der Stadt im Zwielicht. Doch Viki sah genug, um sich zu orientieren. Da war ein Hügel, nicht ganz so hoch wie die anderen, aber mit einem Spiralmuster von Straßen und Bauwerken. Das Berghaus! Sie konnte bis nach Hause blicken!
Viki glitt vom Fenster herab, über alle Maßen hochgestimmt. Sie würden doch noch siegen! Sie und die anderen zogen die funkelnde Schnur herab, versteckten sie wieder in Brents Jacke. Sie saßen im herabsinkenden Dämmerlicht da und fragten sich, wann ihre Gefängniswärter wieder auftauchen würden, diskutierten, was dann zu tun sei. Der Nachmittag war schrecklich dunkel, und es begann zu regnen. Dennoch war das Geräusch des im Winde flatternden Stoffes ein Trost.
Irgendwann nach Mitternacht riss der Sturm die Fahne los und schleuderte sie in die Finsternis.
DREISSIG
Das Recht der Petition an den Hülsenmeister war eine passende Tradition. Es hatte sogar eine Grundlage in historischen Tatsachen, obwohl sich Tomas Nau sicher war, dass vor Jahrhunderten, mitten in der Zeit der Seuche, die einzigen gewährten Bittgesuche Propaganda-Angelegenheiten waren. In moderner Zeit war die Manipulation von Petitionen Onkel Alans bevorzugte Methode gewesen, populär zu bleiben und rivalisierende Fraktionen zu untergraben.
Es war eine schlaue Taktik, solange man Alans Fehler vermied, Mörder als Bittsteller zu sich zu lassen. In den vierundzwanzig Jahren seit ihrer Ankunft beim EinAus-Stern hatte Tomas Nau etwa einem Dutzend Petitionen stattgegeben. Dies war die erste, die behauptete, keinen Aufschub zu dulden.
Nau schaute über den Tisch auf die fünf Bittsteller. Berichtigung: Repräsentanten der Bittsteller. Sie behaupteten, ihnen hätten sich hundert Unterstützer angeschlossen, und das binnen acht Kilosekunden. Nau lächelte, bedeutete ihnen mit einer Handbewegung, Platz zu nehmen. »Pilotenverwalter Xin. Sie sind, glaube ich, der Ranghöchste. Bitte erklären Sie Ihre Petition.«
»Ja, Hülsenmeister.« Xin warf seiner Freundin, Rita Liao, einen Blick zu. Beide waren Aufsteiger von der Heimatwelt, aus Familien, die seit mehr als dreihundert Jahren Fokussierte und Gefolgsleute lieferten. Solche waren das Rückgrat der Aufsteigerkultur, und es hätte leicht sein müssen, mit ihnen umzugehen. Hier draußen, zwanzig Lichtjahre von der Zivilisation entfernt, war leider nichts einfach. Xin fand noch eine Sekunde lang keine Worte. Er warf einen nervösen, verstohlenen Blick auf Kal Omo. Omo erwiderte den Blick sehr kalt, und Nau wünschte plötzlich, er hätte sich die Zeit genommen, sich vom Hülsensergeanten informieren zu lassen. Da Brughel gegenwärtig Freiwache hatte, würde er keinem anderen die Schuld geben können, wenn er die Petition ablehnen musste.
»Wie Sie wissen,
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