Eine tollkuehne Lady
wieder hatte sie den Eindruck, dass jemand sie beobachtete, sie möglicherweise verfolgte, aber wenn sie sich umwandte, war niemand zu sehen.
Es war Juli geworden. Für ihren in England geborenen Ehemann war dieses Wetter zu heiß, aber Georgie war noch an Indien gewöhnt. Sie fühlte sich wohl, als sie so durch die sonnenbeschienene Parklandschaft lief. Vögel flatterten auf, und hier und da knabberte ein Kaninchen an den höheren Grashalmen im Schatten.
Als Georgie die Spitze des weißen Obelisken hinter einigen jungen Bäumen entdeckte, beschloss sie dorthin zu gehen und einen Blick zu werfen auf das Grabmal, das Ian für ihre Vorgängerin hatte erbauen lassen. Vielleicht fand sie dort einen Hinweis darauf, warum sich ihr Mann in letzter Zeit so seltsam benahm.
Meditative Stille herrschte an der Stelle, von der aus der weiße Marmor sich in den azurblauen Himmel erhob. Der Obelisk war umgeben von einem vollkommen runden Kiesweg, der wiederum von Buchsbaumsträuchern umwachsen war und von Beeten mit Veilchen und Vergissmeinnicht sowie einzelnen weißen Azaleen.
Für jene, die ihren Respekt bekunden wollten, gab es zwei runde Bänke, wo sie sitzen und sich an Catherine erinnern konnten. Georgie fragte sich, ob Ian wohl hierher kam, in jenen einsamen Stunden, wenn er das Haus verließ und länger fortblieb, ohne dass Georgie wüsste, wo er sich in dieser Zeit aufhielt.
Sie setzte sich nicht, sondern ging über den knirschenden Kies zu dem Bild ihrer Vorgängerin, das in einem ovalen Medaillon an der Vorderseite des Grabmals angebracht war. Das Bild zeigte das ernste Porträt einer hellhäutigen Blondine, die die gleichen braunen Augen wie Matthew hatte.
Das Bildnis war von einer lateinischen Inschrift umrahmt, doch Georgie hatte nie Latein gelernt und konnte daher die Worte nicht entziffern, die ihrer Vorgängerin auf ihrem letzten Weg mitgegeben worden waren.
Nachdenklich betrachtete sie es, als sie hinter sich eine dünne, zittrige Stimme vernahm. „Du hast den Teufel geheiratet, Mädchen.“
Georgie zuckte zusammen. Dann fuhr sie herum, die Hände auf die Brust gepresst. „Oh, mein Gott! Mutter Absalom, nicht wahr?“ Sie lachte erleichtert, als sie die alte Hebamme erkannte, die sie am Tage ihrer Ankunft die Straße entlanghinken gesehen hatte. „Himmel, haben Sie mich erschreckt!“
„Das ist richtig so, Liebchen. Ich wäre auch erschrocken, wenn ich du wäre.“
„Ah“, erwiderte Georgie etwas verwundert, aber höflich. Sie war froh, dass Ian ihr gesagt hatte, dass die alte Frau verwirrt war. Dennoch klangen die Worte unter den gegebenen Umständen ein wenig beunruhigend. „Keine Äpfel heute?“, fragte sie freundlich.
Die alte Hebamme trug jetzt keinen Korb bei sich, stattdessen stützte sie sich auf einen knorrigen Stock. „Was meinst du, Liebchen?“
„Keine Äpfel“, wiederholte Georgie lächelnd. „Als wir ankamen, sah ich Sie auf der Straße. An jenem Tag trugen Sie einen Korb mit Äpfeln.“
„Ich habe die Erlaubnis, aus dem Obstgarten zu pflücken!“
„Oh! Nein - das habe ich gar nicht gemeint! Ich wollte nur - äh - plaudern.“
Mutter Absalom bewegte die faltigen Lippen.
Jetzt begriff Georgie, warum ihre Cousins die Frau für eine Hexe hielten. Die Frau bot einen unheimlichen Anblick, mit dem schweren dunklen Umhang, dem stechenden Blick und dem strähnigen Haar, das sich aus ihrem Knoten gelöst hatte.
Sie kam näher, wobei sie sich schwer auf den Stock stützte. „Wie fühlt es sich an, den Teufel geheiratet zu haben?“
Georgie zog die Brauen hoch. „Lord Griffith?“
Die Alte lachte. „Den Teufel, sage ich. Den Vater der Lügen!“
Georgie blinzelte erstaunt. „Ich bin sicher, so schlimm ist er nicht.“
„Jawohl! Er hat es doch getan, nicht wahr?“ Mit einer Kopfbewegung deutete Mutter Absalom auf den Obelisken. „Das arme junge Ding ins Grab gebracht.“
„Gute Mutter, ihr müsst nicht meinen Mann für den Tod Lady Catherines verantwortlich machen. Es ist nur natürlich für einen Mann und eine Frau, ein Kind zu wollen. Manchmal geht etwas schief. Aber daran trägt niemand die Schuld. Nicht er. Und nicht Sie. Manchmal ist es einfach - Schicksal.“
„Schicksal? Pah! Es war nicht das Schicksal, das sie in jener Nacht in den Fluss stürzen ließ, als die Brücke zerbrach.“
Georgie starrte sie an und erbleichte. „Wo-wovon reden Sie? Die erste Lady Griffith starb an einem Fieber.“
„Dummes Mädchen, du solltest besser klüger sein, wenn du an
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