Eine tollkuehne Lady
Augen wieder öffnete, faszinierte ihn gleich der Strom des Griffith, der immer weiter floss, Zweige und Äste mitnahm, Blätter im Kreis drehte. Kleine Wirbel entstanden, wo das Wasser ganz ruhig schien. Schäumende Rinnsale, tödliche Steine. Ein besonders spitzer Stein, dessen scharfe Kanten zu der Narbe auf seiner Schulter passten.
„ Catherine!“ Sein Ruf hallte in der Schlucht wider.
„Lass die Pferde los, du Grobian! Ich verlasse dich, ich hasse dich, du Ungeheuer! Ich hasse schon deinen Anblick!“
„Du kannst mich hassen, so viel du willst, aber ich werde nicht erlauben, dass du unseren neugeborenen Sohn verlässt!“
„Ach nein? Dann sieh jetzt genau hin!“
Er schloss die Augen wieder und versuchte, die Erinnerungen zu verdrängen. Die Vergangenheit lag jetzt hinter ihm, die Zukunft mit Georgiana vor ihm. Bitte, ich will es ihr nicht sagen müssen.
Zum ersten Mal in seinem Leben war er der wirklichen Liebe ganz nahe, und wenn er ihr sagte, was in jener Nacht geschehen war, würde sie vor ihm davonlaufen und niemals zu ihm zurückkehren.
Wenn er ehrlich war, wusste er nicht, wie viel mehr davon er noch ertragen konnte. Er befand sich am Rande des Wahnsinns, von Schuldgefühlen gepeinigt und von der nie endenden Furcht, sie könnte es auf andere Weise herausbekommen.
Aber dann wiederum war ihm bewusst, dass Georgiana ihm nach seinem Gewaltausbruch in Green Park noch eine Chance gegeben hatte. Er wollte sie nicht verderben, indem er Georgiana darauf stieß, dass er zu noch Schlimmerem fähig war. Er wollte nicht, dass sie das erfuhr. Er wollte es nicht einmal sich selbst gegenüber eingestehen.
Nein, er konnte dieses Geheimnis ganz fest in sich verschließen. Er wusste, dass er das konnte. Geheimnisse bewahren, Gefühle verbergen, das waren doch seine Stärken, oder etwa nicht?
Georgiana liebte ihren humanitären Diplomaten, ihren vornehmen Gerechtigkeitsbringer, ihren Mann des Verstandes. Oh, was bin ich doch für ein Schwindler.
Als er es sich in den Kopf gesetzt hatte, Georgiana zu heiraten, hatte er logisch gedacht und nicht damit gerechnet, dass das alles so - kompliziert werden würde. Er hatte nicht geahnt, wie es sein würde, wenn sie einander so nahekamen.
So intim miteinander wurden.
Aber wie sollte ihre Liebe weiter wachsen, wenn dieses entsetzliche Geheimnis in seiner Seele eine Kluft zwischen ihnen entstehen ließ? Und doch war er sicher, dass sie ihn verachten und verlassen würde, wenn er es ihr sagte.
Es war ihm klar, dass er Georgie in gewisser Weise dasselbe antat, was Catherine ihm angetan hatte - er war diese Ehe eingegangen, indem er vorgegeben hatte ein anderer zu sein als er in Wirklichkeit war. Aber er konnte nicht anders. Er liebte sie so sehr. Er würde alles tun, um sie für sich zu gewinnen.
Irgendwie würde er es ihm gelingen, sein furchtbares Geheimnis wieder zu verdrängen und auf jene heuchlerische Art und Weise der Prescotts weiterzumachen, die er sich seit jener einen schrecklichen Nacht angeeignet hatte.
Er würde sich einfach noch mehr anstrengen, der Mann zu sein, den sie begehrte, liebte, in ihm sehen wollte.
Doch tief in seinem Inneren wusste er, dass er nichts bedauerte. Er hatte Georgiana eine Lüge erzählt, das stimmte - er hatte die ganze Welt belogen, und jetzt musste er damit leben. Aber obwohl es wehtat, würde er das mit Vergnügen tun.
Um Matthews willen.
Später am Nachmittag, nachdem sie nach Hause zurückgekehrt waren, machte Matthew ein kleines Schläfchen. Als der Junge eingeschlafen war, sicher in seinem Bett in seinem Kinderzimmer, entschied sich Georgie, einen Spaziergang zu unternehmen.
Die Stimmung ihres Gemahls in der letzten Zeit musste auf sie abgefärbt haben, denn sie fühlte sich verletzt und beunruhigt, weil er so plötzlich von dem Picknick weggegangen war. Der Tag hatte so gut angefangen, aber jetzt erkannte sie, dass der Ärger die ganze Zeit über unter der Oberfläche gelauert hatte und nur versteckt gewesen war, direkt hinter der Fassade.
In was war sie da nur hineingeraten? Erst eine Woche war sie verheiratet, und schon hatte ihr Ehemann sie angebrüllt und offensichtlich gewünscht, in Ruhe gelassen zu werden.
Nun, wenn es das ist, was er will, dann wird er das auch bekommen, dachte sie trotzig. Sie würde ihn meiden, bis er sich entschuldigt hatte.
Während sie über die grünen Wiesen ging, erfreute sie sich an der Gesellschaft einiger gelber Schmetterlinge, die im Zickzack neben ihr her flogen. Hin und
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