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Eine unbegabte Frau

Eine unbegabte Frau

Titel: Eine unbegabte Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alan Burgess
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jammerten ihr ihren Weltschmerz vor, bis sie todmüde auch für sie gesorgt hatte und befriedigt feststellen konnte, daß es für alle reichen würde. Wie gewöhnlich aber blieb ihr auch diesmal nicht viel mehr übrig, als den Topf auszukratzen. Es machte ihr nichts aus, sie war zu müde zum Essen. Von den Frauen hörte sie, daß es zwar eine Eisenbahnlinie von Tungkuan nach Huasan gab, aber daß keine Züge mehr verkehrten, denn die Schienen liefen an einem Fluß entlang, dessen anderes Ufer die Japaner besetzt hielten. Sie mußten also von hier aus zu Fuß weiter. Sinnloserweise löste die Nachricht bei ihr eine Wut aus, die im Grunde gar nicht zu ihrem Wesen paßte; sie hatte immer die Fähigkeit besessen, alle Dinge sozusagen im Weiterschreiten auf sich zu nehmen, ohne Kraft und Zeit an nutzlose Ausbrüche zu verlieren. Als bald darauf zwei Männer in den Hof kamen und allerlei Fragen an sie stellten — woher sie kämen, was sie noch vorhätten und so weiter —, erhielten sie nur kurze und wenig freundliche Antworten. Schließlich fuhr sie gereizt auf: »O laßt mich doch zufrieden, ich bin müde!«
    »Wir wollen Ihnen helfen«, erklärten sie. »Die Frauen hier haben uns von Ihnen erzählt.«
    »Wie könnten Sie mir helfen?«
    »Ab und zu geht hier doch ein Zug nach Huasan weiter. Er besteht zwar nur aus Kohlenwagen, könnte Sie aber doch ein gutes Stück näher an Sian heranbringen. Um Mitternacht fährt er ab und passiert noch bei Dunkelheit die japanischen Stellungen am anderen Ufer. Freilich ist es schon öfters vorgekommen, daß er beschossen wurde.«
    »Und Sie meinen, er wird uns mitnehmen?« fragte Gladys eifrig; ihr Herz lebte wieder auf bei diesem Gedanken. »Wann fährt er denn wieder?«
    »Heute nacht, in wenigen Stunden.«
    Sie blickte um sich auf die Reihen von kleinen Gestalten, die, eingewickelt wie Kokons, in festem Schlaf lagen. Und wenn ein Erdbeben käme — man würde sie nicht wach bekommen.
    »Wie weit ist es bis zum Bahnhof?«
    »Gleich hier hinter der nächsten Ecke die Straße hinab, keine hundert Meter weit.«
    Ihre Hoffnungen stiegen wieder. »Ob wir die Kinder wohl zu den Kohlenwagen tragen könnten — glauben Sie, daß das geht?«
    O sicher — die beiden wollten nach Kräften helfen. Aufgeregt rief Gladys die älteren Kinder zusammen, Liang, Teh, Sualan, Ninepence und Thimothy. Sie erklärte ihnen, was sie vorhatte. Sie sollten sich sofort schlafen legen — wenn es soweit wäre, würden sie alle geweckt. Dann wollten sie eine Kette bis zur Station hinunter bilden und so die Kleineren wie Feuereimer von einem zum anderen weiterreichen. Ja, genauso, wie sie es schon einmal auf den Steilhängen, in den Bergen, gemacht hätten.
    Die Männer lächelten, als sie ihnen diesen Plan darlegte. Sie wollten gern wiederkommen und ihr Bescheid sagen, wenn der Zug in Sicht sei. Sie legte sich hin und versuchte einzuschlafen. Stern an Stern kam nun am dunkler werdenden Himmel hervor. Das leise, ruhige Atmen der Kinder war um sie, eine sanfte, warme und leichte Bewegung, und noch im glücklichen Lauschen gingen ihre Gedanken in den Schlaf über.
    Ein Rütteln an ihrer Schulter ließ sie auf fahren: die Männer waren wieder da, der Zug würde in kurzer Zeit abfahren, es war keine Zeit zu verlieren. Sie machte die Runde und weckte die größeren Kinder. Alle bemühten sich, nur im Flüsterton zu sprechen, um die anderen Flüchtlinge nicht zu stören, aber ihren Stimmen hörte man die Aufregung an. Draußen stellten sie sich in einer Reihe auf, die beiden Männer gingen zum Zug, um das Verladen der kleinen, bewegungslosen Körper in die Kohlenwaggons zu überwachen. Als sie das erste Kind aufhob, den kleinen fünfjährigen San, fühlte sie, wie leicht und wie warm er war. Er murmelte etwas im Schlaf, als sie ihn an Sualan weitergab und Sualan ihn zu Liang hinüberreichte. Gladys wußte, daß die Kinder wie Tiere im Winterschlaf waren, durch keine Macht der Erde zu wecken, und selbst wenn eines bei dieser Prozedur fallengelassen würde — es hätte sich auf dem Boden wieder eingeringelt und weitergeschlafen. Eines nach dem andern wurde so zum Zug hinunterbefördert, dann rollte Gladys alle Betten zusammen, und auch diese wanderten durch die Kette der Hände bis hinein in den Zug.
    Endlich ging sie seihst zum Bahnhof. Die Maschine keuchte gedämpft irgendwo im Dunkeln. Die schlafenden Bündel lagen oben zwischen den großen Kohlenbrocken, und die Männer hatten vorsichtshalber Kohle um sie herum

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