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Eine unbegabte Frau

Eine unbegabte Frau

Titel: Eine unbegabte Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alan Burgess
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Kapitel

    Langsam ging sie wieder zurück zu den Kindern und wußte nicht, was sie ihnen sagen sollte. Die Kinder aber hatten neue Nachrichten für sie. Vertreterinnen der Bewegung »Neues Leben« hatten schon mit ihnen gesprochen und ihnen erklärt, daß sie in Sian nicht bleiben konnten, denn zur Zeit sei die Stadt für Flüchtlinge unwiderruflich geschlossen. Wahrscheinlich würde in einigen Tagen die Vorschrift gelockert, auf jeden Fall aber hatte man mit Fufeng, einer nahen kleineren Stadt Verbindung aufgenommen, wo die Kinder so lange versorgt werden sollten. Dort gab es, wie sie Gladys eifrig berichteten, ein Waisenhaus und eine Schule. Alle Kinder, die Tsin Pen Kuang aus Tsechow gebracht hatte, waren schon dort untergebracht.
    »Wie kommen wir denn dahin?« fragte Gladys. »Wir sind nun schon einen ganzen Monat unterwegs.«
    »Mit dem Zug«, sagten sie. »Morgen setzen wir uns in den Zug nach Fufeng. Es sind nur wenige Tage bis dorthin.«
    »Tage!« wiederholte Gladys matt. »Wenige Tage!«
    »Vielleicht sind wir in zwei Tagen schon da, wenn der Zug ein bißchen schnell fährt.«
    »Schon gut.« Zu viel war über sie hinweggegangen, als daß sie noch Kraft zum Widerstand gehabt hätte. An die Reise nach Fufeng konnte sie sich später nicht mehr erinnern, nur an freundliche junge Frauen mit einem Imbiß auf dem Bahnsteig und an Mädchen der Gruppe »Neues Leben«, die sie mitfühlend anlächelten und dann die Kinder mit einem ermunternden: »So nun wollen wir alle vergnügt sein!« zum Marsch in das Lager zusammentrommelten.
    Die Tore der altehrwürdigen Stadt Fufeng standen offen. Die Straffen waren vollgestopft mit Maultieren, Karren, Händlern und Bettlern. Es war heiß hier, feucht, sehr schmutzig; es stank in der Aprilsonne — Gladys wurde von plötzlicher Sehnsucht nach der Höhenluft, den kühnen, winddurchbrausten Bergen Yang Chengs ergriffen. Ein riesiger verlassener Konfuziustempel beherbergte die Waisen des »Neuen Lebens«; die Kinder wurden einer energischen »Generalüberholung« unterzogen, an deren Schluß sie mit neuen Schuhen, richtig gewaschen und gefüttert ganz verändert aussahen und es sich wonnevoll auf ihren neuen Schlafplätzen bequem machten. Vom Essen waren sie nicht sehr begeistert, denn in der Provinz Schensi — wenn auch der Name so sehr dem ihrer Heimat Schansi ähnelte — ißt man Brot und nicht Hirse. Gladys erhielt ein eigenes kleines Zimmer im Tempel; aber ihre Tür stand nie still, denn die Kinder strömten herein und wieder hinaus, um ihre neuen Kleider zu zeigen oder Trost zu suchen für ein aufgeschlagenes Knie oder nur um »Mutter« das Neueste zu berichten. Ein Gang zum Flußufer blieb noch in ihrer Erinnerung haften — sie hatte in dem klaren, strömenden Wasser ihre Kleider gewaschen und sich dabei inständig bemüht, alle Läuse zu töten. Danach hatte sie sich in die Sonne gesetzt, um zu warten, bis die Kleider getrocknet waren.
    Und sofort stand wieder die Frage vor ihr, die sie seit Tagen quälte: Was sollte sie mm beginnen? Die Kinder waren abgeliefert, für sie war gesorgt — aber Gladys’ eigene Welt war zusammengebrochen. Um leben zu können, mußte sie sich nach neuer Arbeit umsehen. So suchte sie die beiden chinesischen Frauen auf, die in Fufeng eine kleine christliche Mission leiteten und sich bei dem Gedanken, in Gladys noch eine Hilfe zu bekommen, sehr erfreut zeigten. Da sie gerade am gleichen Nachmittag ein nahes Dorf besuchen wollten, fragten sie, ob Gladys Lust hätte, sie in das Haus der christlichen Familie Wei, in dem sie erwartet wurden, zu begleiten und dort vielleicht eine kleine Predigt zu halten?
    Nichts — meinte Gladys — würde ihr mehr Freude machen. In der heißen Nachmittagssonne auf der staubigen Landstraße zeigte sich, daß mit ihren Füßen etwas nicht in Ordnung war, es war irgendwie schwierig, sie immer gleichmäßig und geradeaus aufzusetzen. Als die drei Frauen glücklich das Haus erreicht hatten, wurden sie von Frau Wei zu einer Schüssel Reis gebeten, und auch Gladys setzte sich an den Tisch, dankbar für die kleine Stärkung. Wie merkwürdig — sie konnte den Reis nicht in den Mund hineinbekommen, ihre Hände waren nicht imstande, die altgewohnte Bewegung auszuführen. Was war das nur? — sie hatte Appetit auf den Reis und konnte ihn nicht essen. Warum sehen die beiden anderen sie so sonderbar an? Sie hatte auch Kopfschmerzen. Ja, jetzt merkte sie es erst: heftige Kopfschmerzen hatte sie. Die Frauen schlugen ihr

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