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Eine unbegabte Frau

Eine unbegabte Frau

Titel: Eine unbegabte Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alan Burgess
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Gladys auf.
    »Meinen Paß?« sagte sie. »Ich möchte gern meinen Paß zurückhaben.«
    Er ließ seinen Stuhl auf den Fußboden zurückfallen, nahm die Zigarette aus dem Mund und stieß den Rauch aus. »Er wird noch geprüft. Ich werde Ihnen den Paß — heute abend bringen.«
    »Danke«, sagte Gladys und verließ schnell die Halle, obgleich sie nicht wußte, was sie als nächstes tun sollte. Sie mußte sich zusammennehmen und scharf nachdenken. Sollte das Mädchen recht haben? Der Gedanke schien phantastisch, fast wie eine Episode aus einem schlecht geschriebenen Kriminalroman.
    Am Abend saß sie in ihrem kalten Hotelzimmer; Keks und Büchsenfisch hatten ihr heute nicht recht geschmeckt. Ein Klopfen an der Tür — sie stand auf und öffnete. Es war der NKWD-Mann; breit grinsend schwenkte er in einer Hand den Paß. Er stellte den Fuß zwischen Tür und Schwelle. Instinktiv witterte Gladys die Gefahr, schnappte ihm den Paß aus der Hand und warf ihn über sich nach hinten ins Zimmer. Das merkwürdige Lächeln auf seinem Gesicht erschreckte sie. Er drückte die Tür weit auf und trat ins Zimmer.
    »Sie dürfen hier nicht herein! Gehen Sie raus! Raus!« rief Gladys entschlossen.
    »Sie werden mich wohl kaum davon abhalten können«, gab er kurz zurück. Der Blick seiner leicht geschlitzten Augen fliegt über das Bett und wieder zu ihr.
    Sie starrt ihn an. Sie ahnt, daß sie hier dem letzten, dem tiefsten Schrecken, den es für sie gibt, gegenübersteht. Zeilen aus Frauenmagazinen schwirren ihr durch den Kopf: die Bestie Mann, der sich in tiefer Nacht Zugang zum Schlafzimmer einer Frau erzwingt, brennend von Begierde und Wollust! Von allen Filmen, die sie je gesehen hat, zeigte jeder zweite die Flucht der schönen Heldin — aus D-Zügen, von schwimmenden Eisinseln oder aus dem Dschungel — die Flucht vor dem verdächtigen Gentleman mit dem schwarzglänzenden Lippenbärtchen. Diese Romanzen saßen im Bewußtsein des Volkes fest. Auch Gladys war reichlich mit diesem Schauermotiv in ihrer Jugend gefüttert worden. Sie weiß, daß dem Zuschauer bei der nächsten Wendung des Films, im folgenden Kapitel des Buches, die Heldin weinend in einer Ecke gezeigt wird, oder auch in Eis und Schnee hinausgestoßen mit einem wimmernden Bündel auf dem Arm.
    Und das soll jetzt ihr widerfahren. Es ist unvorstellbar. Sie ist so versteint vor Entsetzen, daß sie ihn nicht hindert, drei Schritte auf sie zuzukommen; dann aber springt sie wie eine versengte Katze zurück.
    Halb feierlich, halb wild stößt sie hervor: »Gott wird mich beschützen! Gott wird mich beschützen!«
    Der Mann hält inne. Er sieht sie verdutzt an. Dieses zitternde Häufchen Tugend! Er grinst. Das Grinsen geht in Lachen über, schließlich in schallendes Gelächter. Erstaunt und feindselig beobachtet Gladys ihn. Plötzlich wechselt seine Stimmung. Er stößt Flüche gegen sie aus, beschimpft sie wild auf russisch und englisch. Drohend erhebt er die Hand, besinnt sich dann aber doch und geht rückwärts, immer noch schimpfend, die wenigen Schritte zur Tür hinaus. Gladys ist mit einem Sprung an der Tür, wirft sie zu und stößt hastig den Riegel vor. Sie kann kaum mehr atmen, so furchtbar waren Schrecken und Angst. Mit dem Rücken lehnt sie sich gegen die Tür, preßt die Handflächen gegen das Holz und fühlt ihr Herz schmerzen in einem übermächtigen Gefühl der Befreiung. Noch diese Nacht muß sie das Hotel verlassen! Sofort!
    Sie stürzt auf ihren Paß zu und hebt ihn auf. Was hatte das Mädchen gesagt — sie solle sich den Paß genau ansehen? Gladys öffnet ihn und durchfliegt die Seiten. Ihre Finger zittern vor Furcht, als sie sieht, was geschehen ist. Das Wort »Missionarin« ist geändert worden in »Maschinistin«! Sie stopft den Paß hastig wieder in die Handtasche, zerrt ihre Koffer unter dem Bett hervor und wirft ihre Sachen hinein. Sie muß fliehen heute nacht, sie muß fliehen, ganz gleich, auf welche Weise! Sie schließt ihre Koffer ab und setzt sich auf den Bettrand; zitternd wartet sie auf die Nacht und betet, Gott möge sie erretten. — Sagte das Mädchen die Wahrheit? Oder wollten sie ihr vielleicht nur eine Falle stellen? Es ist ihr gleich. Sie muß noch die geringste Möglichkeit nützen. Sie muß fliehen.
    Da — hat es nicht geklopft, kaum hörbar? Sie zögert, ehe sie den Riegel zurückzieht. Aber es muß sein. Das Risiko ist groß — vielleicht aber ist es die Rettung.
    Ein fremder Mann in mausgrauem Regenmantel steht draußen. Sein

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