Eine unberührte Welt - Band 4 (German Edition)
Bahnen.«
»Ich glaube, du bist ein ziemlicher Träumer, Cousin«, meinte Gham’bia. »Das war doch klar: Wenn deine Abenteurer ständig ausziehen und die Welt erforschen, muss logischerweise der Tag kommen, an dem alles vollständig erforscht ist. Und so ist das eben heute. Vielleicht gibt es heute keine solchen Gefahren mehr, aber dafür muss niemand mehr hungern oder Angst um sein Leben haben.«
Tonak nickte betrübt. »Ja, sicher. Das weiß ich alles auch. Aber ist das denn das ganze Leben? Dass man zu essen hat und eine Wohnung, eine Arbeit, eine Familie … und weiter nichts?«
»Das ist doch schon eine ganze Menge«, meinte Gham’bia. »Was willst du denn außerdem noch?«
»Ich weiß nicht«, gab Tonak zu. »Ich habe nur irgendwie das Gefühl, dass das nicht genug ist.«
Gham’bia schüttelte den Kopf in einer Art, die etwas Mütterlichesan sich hatte, trotz ihrer Jugend. »Ich glaube, du bist einfach gerade in einer Umbruchphase. Die Schule geht zu Ende, und du weißt noch nicht so recht, was kommt. Wenn du dich erst auf deinem Platz eingelebt hast, wirst du anders über all das denken.«
Eine Umbruchphase? Tonak seufzte innerlich. Wenn das eine Phase war, dann dauerte sie verflixt lange. Schon sein ganzes Leben lang.
Wahrscheinlich stimmte irgendwas mit ihm nicht.
»Liest du eigentlich nur solche alten Abenteuerromane?«, fragte Gham’bia. »Sonst nichts? Vielleicht ist das ein bisschen einseitige Kost.«
Tonak dachte nach. Plagte ihn diese Sehnsucht, weil er so viele dieser Bücher las, oder las er so viele dieser Bücher, weil ihn diese Sehnsucht plagte – woher auch immer sie kommen mochte?
»Ich lese ziemlich viel, das stimmt«, gab er zu. »Und meistens Abenteuerromane. Manchmal auch Zukunftsromane.«
»Zukunftsromane?«, wunderte sich Gham’bia. »Was ist denn das?«
»Das sind Erzählungen, wie sich die Leute früher ihre Zukunft vorstellten – also unsere Zeit heute. Fast alle waren davon überzeugt, dass wir über eine weit entwickelte Raumfahrt verfügen würden. Ich habe viele Romane gelesen, die beschreiben, wie Menschen der Zukunft mit Raumschiffen in die Tiefen des Weltraums vorstoßen, ferne Planeten erkunden und fremden Lebewesen begegnen.«
»So ein Unsinn. Was hätten wir denn davon?«
»Muss man denn immer etwas davon haben?« Tonak zeigte hinauf zum Nachthimmel, dessen funkelnde Sterne ihn auszulachen schienen. »Irgendwo dort draußen ist der Mars, mit seinen endlosen roten Staubwüsten. Der Saturn, mit seinen grandiosen Ringen. Und unermesslich viele weitere Wunder, von denen wir nicht einmal wissen. Wozu das alles, wenn niemals jemand dort oben stehen und das alles sehen soll?«
»Raumfahrt würde die Atmosphäre verschmutzen, und irgendwelche Raketen, die durchs All fliegen, kann man nicht mehr recyclen«, erklärte Gham’bia. »Meine Mutter hat mir das genau erklärt; sie sitzt schließlich auch im Forschungskontrollausschuss der Vereinten Nationen. Wir können uns keine Raumfahrt leisten, nur weil jemand die Ringe des Saturn sehen will.«
»Aber wozu sind wir denn geschaffen, wenn nicht, um alles anzuschauen, was es gibt?«
»Wir sind nicht geschaffen, wir sind entstanden. Und zufällig sind auch die Ringe des Saturn entstanden. Das eine hat nichts mit dem anderen zu tun. Und wenn jemand den Saturn anschauen will, soll er ein Teleskop benutzen.«
Tonak wusste nicht, was er darauf sagen sollte. Alles, was er gelernt und erfahren hatte, bestätigte ihm, dass Gham’bia recht hatte.
Sie hatten den Rundgang über den Parkweg gerade vollendet. »Komm«, forderte Gham’bia ihn auf, »setz dich ein wenig zu uns an den Tisch.«
An dem Tisch herrschte eine ausgelassene Stimmung. Den Löwenanteil der Unterhaltung bestritt eine hochgewachsene blonde Frau mit dem Erzählen von Anekdoten. Das musste Tante Vataia sein. Tonak wusste, dass sie seit einiger Zeit der Regierung von Südbrasilien angehörte und in allerlei wichtigen Gremien mitwirkte.
»… die Bolivianer waren harte Burschen, wirklich hart. Da war harter Widerstand. Bis jemand aus unserer Delegation die geniale Idee hatte, die Berechnungen für die Umweltverträglichkeit des Sonnenkraftwerks auf dem Illampu nachzuprüfen, und siehe da – Fehler über Fehler! Das war der entscheidende Durchbruch. Der nahm den Falken buchstäblich die Waffen aus der Hand.«
»Bolivien!«, warf eine untersetzte ältere Frau ein. »Ich weiß noch, wie entsetzt ich auf meiner ersten Reise dorthin war. Die klotzen ihre
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