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Eine unberührte Welt - Band 6 (German Edition)

Eine unberührte Welt - Band 6 (German Edition)

Titel: Eine unberührte Welt - Band 6 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Eschbach
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muss.«
    »Nein. Wenn du Wasser gießt, dann haben sie was zu trinken, aber nichts zu essen.«
    Das leuchtet ihm ein. Aber warum hat ihm Mama das nicht gesagt? Vielleicht hat sie es gesagt, und er hat es vergessen. Manchmal vergisst er Sachen, weil er eben dumm ist.
    Ludwig kommt aus seinem Büro und geht zu Frau Steidlitz hinüber, und Hermann hört, wie er sagt: »Das Virus ist jetzt auch in Südamerika aufgetaucht und in Australien. Wirklich überall. Und der Wissenschaftler ist immer noch verschwunden.«
    »Unglaublich«, sagt Frau Steidlitz und wackelt mit dem Kopf.
    Hermann versteht nicht, wovon die beiden reden, aber er gesellt sich dazu und sagt: »Wenn ich klug wäre, dann wäre ich auch gern ein Wissenschaftler.«
    Frau Steidlitz drückt ihm ein bisschen den Arm – das mag er – und sagt: »Ja, Hermann, du wärst sicher ein anständiger Wissenschaftler. Nicht so einer.«
    Hermann versteht nicht, was sie damit meint, aber er sagt nichts, sondern freut sich bloß, dass sie ihn ein bisschen drückt. Frau Steidlitz kann ihn gut leiden, und er sie auch.
    Wenn er abends heimkommt, ist er immer ziemlich müde. Er setzt sich dann als Erstes auf die Couch und schaltet den Fernseher ein fürdie Kinderstunde. Er weiß, dass er eigentlich zu groß ist für Kinderstunde, aber sie gefällt ihm. Und später am Abend kommen bloß noch Sachen, die er nicht versteht oder die ihm Angst machen.
    Aber heute kommt gar keine Kinderstunde, nur Nachrichten.
    »… den dringenden Appell, den Lebensmittelhandel aufrechtzuerhalten und keine sinnlosen Vorräte zu horten …«
    Im anderen Programm kommen auch bloß Nachrichten. Die versteht er sowieso nie, deshalb schaltet er wieder aus.
    Die Blumen fallen ihm wieder ein. Die violetten Blütenblätter fallen schon ab, und die grünen Blätter sehen welk und trocken aus. Er zieht sich noch einmal die Schuhe an und geht tapfer hinüber zum Supermarkt. Der Supermarkt macht ihm Angst; da sind immer so viele Leute, die haben es immer furchtbar eilig und schubsen ihn umher, und zwischen den Regalen kann man sich glatt verlaufen. Manchmal geht er mit Mama, aber da schiebt er immer bloß den Wagen.
    Heute sind besonders viele Leute da, so viele wie noch nie. Hui, und wie die ihre Wagen vollgeladen haben! Alle sind ganz aufgeregt; drängeln und schimpfen und sehen aus, als hätten sie Angst.
    Er will am liebsten umkehren, aber er denkt an die Blumen und dass er Mama versprochen hat, auf sie aufzupassen. Er geht alle Regale ab und findet schließlich grüne Flaschen, auf denen »Pflanzendünger« geschrieben steht. Als er damit an der Kasse ist, schaut ihn die Kassiererin merkwürdig an, und die Leute ringsumher lachen ihn aus. Er macht ein grimmiges Gesicht und schaut nicht hin, bezahlt und geht dann einfach.
    Auf dem Heimweg sieht er, dass die Bäume in der Straße alle schon ihre Blätter verlieren, als ob Herbst wäre. Aber es kann nicht schon Herbst sein, denn er hat erst Geburtstag gehabt, kurz bevor Mama fortgefahren ist, und Mama sagt immer: »An deinem Geburtstag fängt der Sommer an, Hermann.« Und dass der Herbst erst lang nach dem Sommer kommt, das weiß ja wirklich jeder.
    Er gießt etwas von dem Pflanzendünger aus der Flasche in alle Blumentöpfe und wartet. Die Blumen rühren sich nicht, sehen aus wie völlig erschöpft. Er gießt noch einmal etwas von dem Dünger injeden Blumentopf, bis die Flasche leer ist, und setzt sich wieder auf die Couch.
    Es kommt immer noch keine Kinderstunde, aber jetzt ist es ihm egal. Er wird so lange warten, bis die Kinderstunde kommt.
    »… bestätigt, dass das vor zwei Tagen versehentlich freigesetzte, gentechnisch veränderte Virus ausschließlich Pflanzen befällt. Es zersetzt den grünen Pflanzenfarbstoff Chlorophyll und gilt als Auslöser des weltweiten Pflanzensterbens.«
    Auf der Fensterbank raschelt es. Die ganzen violetten Blütenblätter fallen ab; es sieht aus wie violetter Schnee. Er mag gar nicht hinsehen. Mama wird ihn schimpfen, wird sagen, dass auf ihn kein Verlass ist und dass man ihn nicht allein lassen kann. Vielleicht wird sie sogar weinen, weil sie ihre Blumen so gemocht hat.
    »New York«, sagt die Frau im Fernsehen. »Die UNO hat eine Sondersitzung einberufen, um Konsequenzen und Gegenmaßnahmen zu beraten. Der Generalsekretär erklärte, wie die Lösung der Krise aussehen könne, wisse zur Stunde noch niemand. Er betonte jedoch, dass sie schnell gefunden werden müsse, ehe der Sauerstoff der Erdatmosphäre …«
    New York

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