Eine unberührte Welt - Band 6 (German Edition)
Jahren hat ein gewisser Dr. George Raider aus Austin, Minnesota ein neues Wort geschaffen, ein Wort, auf das, wie man wohl sagen darf, die Menschheit geradezu gewartet hat. Es erforderte beträchtliche Anstrengung, dieses Wort zu erdenken: Tatsächlich gab Dr. Raider, nachdem ihm die erste vage Idee dazu gekommen war und er die Notwendigkeit verspürte, ihr nachzugehen, eine Karriere als Anwalt für Urheberrechtsfragen auf, um noch einmal zu studieren, Philosophie und Linguistik diesmal, an der Universität von Iowa. Im Rahmen seiner Abschlussarbeit schuf er schließlich jenes Wort, das unmittelbar nach Veröffentlichung zu einem unverzichtbaren Bestandteil unseres Sprachschatzes wurde. Ich nehme an, Sie wissen, von welchem Wort ich rede. Wenn nicht, dann tut es mir leid, denn ich darf es hier nicht benutzen, nicht einmal entfernt umschreiben. Denn Dr. Raider, der ursprünglich wie gesagt Fachanwalt für Urheberrecht war, konntein einem aufsehenerregenden Prozess vor höchsten Instanzen (von dem Sie aber bestimmt gehört haben!) die Anerkennung erstreiten, dass dieses mühevoll geschaffene Wort seine geistige Leistung und demzufolge auch sein geistiges Eigentum ist. Seither muss, wer es in irgendeiner Weise geschäftlich verwenden will, eine Lizenzgebühr an die Verwertungsgesellschaft Raider & Ark, New York, entrichten, die sich nach der Art der Verwendung, der Zahl der hergestellten Kopien und so weiter richtet. Im Fall dieses Essays wären dies 3 Cent pro gedrucktem Exemplar gewesen, was schon bei geringen Auflagen die Höhe meines Honorars dafür überschritten hätte. Eine Umschreibung des Wortes hätte noch mit 1,02 Cent zu Buche geschlagen. Lediglich die Formulierung »das Wort, das Dr. Raider geschaffen hat« darf nach höchstrichterlichem Urteil provisionsfrei benutzt werden. Belassen wir es also dabei.
Wobei man sagen muss, dass diese Verwertungsgesellschaft gut organisiert ist. Auf eine entsprechende Anfrage hin erhält man umgehend ein gut verständliches Formular zugefaxt, das man ausgefüllt zurückschickt, worauf man binnen einer Stunde seine Lizenz in Händen hält, mit genauen Angaben über Gebühr und Kontoverbindung und mit der Lizenznummer, die dem entsprechenden Text als Fußnote anzufügen ist. Online, per Internet, soll es noch schneller gehen, hört man. Nicht ganz so einfach wie früher freilich, als es genügt hat, die genaue Schreibweise eines Wortes im Wörterbuch nachzuschlagen, aber immerhin. In den meisten Fällen gibt es schlimmere Dinge, die das Verfassen eines Textes behindern – Streit mit den Kindern, klingelnde Telefone, akute Arbeitsunlust –, als der Vorgang der Lizensierung. Und das Wort, ich bestreite es gar nicht, ist sein Geld wert. Marcel Proust hat mitunter Tage verbracht mit der Suche nach dem richtigen Wort, dem »mot juste« – man rechne das einmal in Arbeitszeit um!
Nach dem Urteil in Sachen Dr. Raiders Wort traten freilich, wie nicht anders zu erwarten war, zahllose mehr oder weniger fantasievolle Geschäftemacher, Abzocker und Trittbrettfahrer auf den Plan. Einer wollte die Rechte an den großen Markennamen in ähnlicher Weise handhaben, aber die entsprechenden Firmen erkannten glücklicherweise, dass sie dann ihre Abteilungen für Öffentlichkeitsarbeitauch gleich hätten schließen können, und so wurde nichts daraus. Ein anderer versuchte es mit den Namen großer Schauspieler, was aber auch nicht recht klappte – es gibt lediglich einen Schauspieler, über den man im Staate Kalifornien nichts mehr schreiben darf, ohne Lizenzgebühr für die Verwendung seines Namens zu bezahlen. Aber da von diesem Schauspieler ohnehin kaum noch die Rede ist, dürfte das entsprechende Aufkommen nicht nennenswert sein und die neue Regelung überdies dafür sorgen, dass der Mann endgültig in Vergessenheit gerät. Übrigens gibt es einen Namensvetter, einen Immobilienmakler in Santa Barbara. Eine Zeit lang sah es so aus, als müsse der Lizenzgebühren abführen jedes Mal, wenn er einen Kaufvertrag mit seinem eigenen Namen unterzeichnet, bis ein lebenserfahrener Richter schließlich ein Einsehen hatte.
Weniger lebenserfahren nach meinem Dafürhalten und dem zahlreicher Kommentatoren war dagegen ein Richter im Bundesstaat New York, aber dort gibt es bekanntlich seit jeher die bizarrsten Urteile. Nachdem alle Versuche, die Rechte an Worten wie »und« , »ich« , »aber« oder »Lizenzgebühr« zu erhalten, abgeschmettert worden waren, hatte man dem in Indien gebürtigen
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