Eine unberührte Welt
sich wieder in seinen Verschlag zurück.
Das fing ja gut an. Tim musste unwillkürlich schlucken. So hatte er sich das allerdings nicht vorgestellt. Den anderen ging es genauso, den beklommenen Blicken nach zu urteilen, die sie einander zuwarfen.
Aber daran führte nun wohl kein Weg vorbei. Man konnte nur hoffen, dass dieser Johannes wusste, was er tat. Und dass er gut versichert war, für alle Fälle …
An den Umkleidekabinen klebten Namensschilder; jeder hatte seine eigene. Tim war zu Mute, als hätte man ihm befohlen, sich nackt auszuziehen. Den PA ablegen, mit allen seinen Daten … Er vergewisserte sich, dass der Zugriffsschutz aktiviert war, ehe er ihn aus der Hand gab. Dann das Ohrhörerset. Musik war also verpönt beim Survival. Der Armreif mit dem Stresssensor, den Maren ihm zum Geburtstag geschenkt hatte, fiel sicher auch unter den Bann. Es wunderte Tim kein bisschen, dass alle drei Warnleuchten rot blinkten.
Die bereitliegende Kleidung war laut Garantiesiegel der Wäscherei gereinigt, desinfiziert und allergiegeprüft. Sie hatte genau Tims Größe, was man ja wohl erwarten konnte. Trotzdem hätte er am liebsten seine eigenen Sachen anbehalten. In die meisten davon war allerdings ein Einmal-Notruf-Streifen eingewebt, wie in fast allem, was man heutzutage kaufte. Und sein Timed-Color -Hemd, das im Lauf des Tages mehrmals in sanften Übergängen die Farbe wechselte, war sicher auch unerwünscht.
Als Tim wieder ins Freie trat, sah er, dass vier ebenfalls in Oliv gekleidete Männer und Frauen sie mit Scannern erwarteten. Wer noch ein Signal von sich gab, wurde zurückgeschickt. Henrik zum Beispiel. »Es ist nur ein Diabetes-Sensor, zum Teufel«, rief er dabei mit hochrotem Kopf. »Der funkt nicht! Nirgendwohin!«
Ben hatte die Kontrolle schon passiert, stand auf dem Sammelplatz und reckte und streckte sich, als Tim ankam. »Starkes Gefühl«, meinte er. »Man kommt sich fast vor wie ein wildes Tier. So … unzivilisiert.«
Tim war alles andere als stark zu Mute. Im Gegenteil, ohne seine gewohnte Ausstattung fühlte er sich … verletzlich, das war das Wort. Sich vorzustellen, dass er völlig abgeschnitten war von der Welt! Keine Nachricht, keine Mitteilung würde ihn erreichen, egal wie wichtig und eilig … Es war beinahe wie taub sein. Als habe man ihm ein Sinnesorgan amputiert.
Beruhigend wenigstens, dass es den anderen genauso zu gehen schien. Henrik passierte die Kontrolle beim zweiten Mal und blaffte den wartenden Johannes an: »Alles ziemlich leichtsinnig, würde ich sagen. Ich meine, die Regierung könnte stürzen, und wir würden es nicht mal mitkriegen. Ist doch so, oder?«
Johannes hob kaum die Augenbraue. »Kann etwas wichtig sein, von dem man nichts mitkriegt?«
Henrik stutzte, dann wandte er sich kopfschüttelnd ab. »Ein Witzbold«, grollte er. »Wir sind verflucht noch mal in den Händen eines Witzbolds.«
Schließlich waren alle so weit, wenn auch die meisten noch reichlich belämmert dreinblickten. Johannes erklärte die Aufgabe, die zu bewältigen war: Sie sollten sich gemeinsam zu einem Sammelpunkt durchschlagen. Zu Fuß. Und mit nichts weiter ausgestattet als mit etwas, das er »Stadtplan« nannte – ein Blatt Papier, auf das sinnverwirrend viele Linien gedruckt waren, angeblich ein Abbild der Umgebung. Alles drängte sich um Liz, der er das Papier überreicht hatte, um einen Blick darauf zu werfen.
»Denken Sie es sich als Navigationssystem für den Handbetrieb«, riet Johannes und winkte einen seiner Assistenten heran, einen untersetzten Mann mit schwarzen Locken und einem Vollmondgesicht. »Das ist Markus. Er wird Sie begleiten, Ihnen in Notfällen aus der Patsche helfen, sich ansonsten aber zurückhalten. Es ist schließlich Ihr Training.« So etwas wie ein Lächeln huschte über seine Züge. »Viel Spaß.«
Damit ließ er sie alleine, und bis auf Markus verdrückten sich auch die übrigen Assistenten.
»Na, das werden wir ja wohl hinkriegen«, meinte Liz streitlustig und hielt das Papier in die Höhe. »Das ist eine Draufsicht, würde ich sagen. Als würde man von einem Satelliten aus hinunterschauen und die Straßen und so weiter abzeichnen.«
Pjotr, der Analyst mit dem wallenden Haupthaar, deutete auf ein rotes Kreuz. »Dann sind wir sicher hier.«
»Genau«, sagte Ben und zeigte auf ein blaues Dreieck. »Und da müssen wir hin. Ganz einfach.«
Ganz so einfach war es dann aber doch nicht, denn das hieß, dass sie austüfteln mussten, durch welche Straßen sie gehen
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