Eine unberührte Welt
einen abbrechen, aber überlegt mal: Die können es sich nicht erlauben, dass bei ihren irren Spielchen einer draufgeht. Die wären im Nu weg vom Markt. Also wette ich hundert zu eins, dass hier noch mehr von diesen sogenannten Assistenten rumschleichen, Und die haben Ben längst in Sicherheit gebracht.«
Das fand Tim schlau gedacht, und so stimmte er auch dafür, die Suche abzubrechen und sich stattdessen vollends zum Zielpunkt durchzuschlagen.
Die Sonne stand schon im Zenit, als sie endlich ankamen. Doch zu ihrem Entsetzen war von Ben keine Spur zu sehen.
Stattdessen erwartete sie Johannes mit einem klimatisierten Elektrobus. Ihre Verlustmeldung war ihm nur ein Schulterzucken wert, und als Liz heftig dagegen protestierte, ohne Ben loszufahren, sagte er bloß: »Wir werden uns um ihn kümmern. Sobald wir ihn gefunden haben, kommt er nach.«
Die Rückfahrt verlief in tiefem Schweigen. Sie waren alle deprimiert und erschöpft. Erst nachdem sie sich umgezogen und endlich ihre Geräte wieder hatten – Tims PA zeigte 63 wartende Nachrichten an, zum Glück nichts Brandeiliges, soweit er beim raschen Durchblättern sah –, kehrte zumindest ein Hauch von Zuversicht zurück. »Sie werden sich die Ärsche aufreißen, um ihn zu finden, ist doch klar«, gab Henrik die Parole aus. »Weil andernfalls wir ihnen die Ärsche aufreißen.« Trotzdem war an diesem Nachmittag nicht mehr an geregelte Arbeit zu denken. Sie saßen ewig in der Kantine beisammen, hechelten alles wieder und wieder durch, und selbst der Chef, dessen Idee das Training gewesen war, zeigte sich bestürzt über den Verlust.
Doch gegen halb vier trudelte Ben dann tatsächlich ein. Er grinste schief, ließ sich feiern. »Verlaufen«, sagte er, als man ihn fragte, was passiert sei. »Kann vorkommen in der Wildnis.« Der Chef kam und schüttelte ihm die Hand, sichtlich erleichtert über seine Rückkehr.
Die Wahrheit erzählte er Tim erst, als der Rummel abgeflaut war und sie in ihrem Büro unter sich waren. »Da waren ein paar Hütten. Klein, aus Ziegeln, ein Dach drauf, nichts Besonderes. Schimmerten zwischen den Bäumen durch, kaum zu erkennen. Ich wollte bloß sehen, was das ist, das war alles. Ich habe mich also seitwärts in die Büsche geschlagen und …« Er holte tief Luft, rollte mit den Augen. »Nie im Leben hätte ich gedacht, dass da Menschen wohnen. Aber es war fast ein kleines Dorf. Und jetzt halt dich fest: Die leben da wie vor hundert Jahren. Echt. Kein einziger Computer. Strom nur aus Steckdosen. Telefon nur am Kabel! Zuletzt hab ich so was als Kind im Museum gesehen.«
Tim kniff die Augen zusammen. »Du verscheißerst mich, oder?«
»Nein, ich schwör’s dir. Ehrlich. Das muss so eine Art Sekte sein. Ich hab mit denen gesprochen. Die nennen ihre paar Hütten eine Offline-Siedlung, und angeblich gibt es Hunderte davon, praktisch in jeder Stadt.« Ben fuhr sich durchs Haar. »Einen Moment lang hab ich das sogar fast geglaubt.«
»Und dann?«
»Dann hab ich gemacht, dass ich wegkam. Ich meine, weiß man, wozu solche Leute fähig sind? Na ja. Danach bin ich durch die Gegend geirrt. Bis einer von den Assistenten aufgetaucht ist.« Er schüttelte sich, als müsse er einen Albtraum loswerden. »Eins sag ich dir: Nie wieder mach ich so einen Quatsch mit. Wir hätten uns alle ’nen schönen Tag im Synthobad machen können oder im Virtual Dome oder sonstwo, aber nein … Survivaltraining! Ich bitte dich!«
* * *
Abends stand Tim am Fenster und dachte an den Tag zurück. Was für ein Abenteuer! Ihn schauderte immer noch ein bisschen. Zum Glück hatte sich herausgestellt, dass mit den Daten für Jason alles klar gegangen war, und auch sonst war ihre Abwesenheit ohne katastrophale Folgen geblieben. Sein PA hatte in der Zeit, in der er unbeschäftigt gewesen war, Angebote für Zweiwegekühlschränke eingeholt, sie auch gleich bei der Prüfagentur, mit der Tims Firma einen Vertrag hatte, auf Verlässlichkeit gecheckt und ein Gerät ausfindig gemacht, das voll kompatibel war und dazu dreißig Prozent billiger als die Angebote von FoodNet. Tim war erst verblüfft gewesen über diese Eigeninitiative des Geräts, bis ihm gedämmert hatte, dass der PA am Morgen den Artikelcode des Faltblattes gescannt haben musste.
Bloß das mit der Toilette klappte immer noch nicht. Er würde bis auf Weiteres nur unten aufs Klo gehen, weil das blöde Ding oben bei jedem Pinkeln sturheil einen Arzttermin für ihn ausmachte.
Es hatte zu regnen begonnen. Tim hörte, wie
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