Eine unberührte Welt
aus dem Haus war.
Das Betriebssystem des Autos brauchte auch jeden Morgen länger zum Hochfahren. Oder war er nervös? Ja, das mit dem Survivaltraining beunruhigte ihn. Weil man so gar nicht wusste, was auf einen zukam.
Endlich konnte er den angegebenen Treffpunkt aus seinem PA ans Navigationssystem überspielen. »Bitte starten und an der nächsten Kreuzung links abbiegen.« Der tägliche Spruch zum Tage, da es von ihrem Wohnblock aus nur diesen einen Weg gab.
Auf der Ringstraße war schon jede Menge los. Tim ließ den Wagen sich ins Selbstfahrsystem einklinken und rief die wartenden Mitteilungen ab, die von Jason zuerst. Der hatte Stress mit den n5-Optionen, dem neuesten Schrei am Kapitalmarkt – Optionen auf Optionen auf Optionen und so weiter; ein wahnwitzig empfindlicher Markt, der schon ins Zittern kam, wenn ein wichtiger Industrieboss die linke statt der rechten Augenbraue hob. Tim diktierte eine Mitteilung an Estelle Jourdan, Peter de Hoof anzuweisen, bei Dana Chamberlain die Firmendaten abzurufen, die Jason brauchte. Trotz aller Vernetzung kam man eben immer noch nicht ohne solche informellen Kontakte aus.
»Bitte Handsteuerung übernehmen und an der nächsten Ausfahrt abfahren.« Aha, Neuland. Obwohl er seit seiner Geburt in dieser Stadt lebte, war er in diesem Teil noch nie gewesen. Ein altes Gewerbegebiet, wie es aussah; ein bisschen heruntergekommen. »Die nächste Einfahrt rechts nehmen. Sie haben Ihr Ziel erreicht.«
Die Einfahrt führte auf ein Grundstück, das hauptsächlich aus Parkplatz und dürrem Rasen bestand. Eine Art Büro lehnte windschief am Zaun, und weiter hinten standen eine Menge blauer Plastikboxen, die aussahen wie Umkleidekabinen. Das war alles.
Die meisten der anderen waren schon da. Ben belaberte mal wieder die Frauen von der Devisenabteilung. Breitbeinig, die Hände in den Hüften stand er da, und Tim hätte jede Wette gehalten, dass er anzügliche Witze erzählte. Henrik musste eben erst angekommen sein, er saß noch im Auto und telefonierte hektisch.
Gerade als man anfing, sich zu fragen, wie das weitergehen sollte, trat ein Mann aus dem Bürocontainer. Er war von beeindruckender Statur, hatte streichholzkurze Haare und Hunderte kleiner Fältchen im Gesicht von der Art, wie man sie mit modernen Mitteln eigentlich problemlos wegbekommen hätte. Aber sie verliehen ihm ein rustikales Aussehen, und das war, überlegte Tim, in seinem Job sicher nützlich.
»Mein Name ist Johannes. Ich heiße Sie zu Ihrem heutigen Survival-Training willkommen«, sagte er mit ruhiger, irgendwie kampferprobt klingender Stimme. Er trug eine olivfarbene Montur, die Tim an Safari-Filme denken ließ. Und ohne großes Herumgerede erteilte er gleich die erste Anweisung: alles abzulegen, was sie mit der Zivilisation verbinde.
»Alles? Was heißt ›alles‹?«, wollte jemand – Ben – wissen. »Werden wir nackt durch die Wälder streifen?« Die Frauen sahen pikiert drein, die Männer lachten.
Johannes ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. »›Alles‹«, erläuterte er, »heißt erstens: keine elektronischen Geräte. Keine PAs, Voice Commander, Thinking Rings, Monitorbrillen, Earplugs und so weiter. Zweitens: keine Kreditkarten, nichts, was einen Identity Chip trägt, kein Bargeld. Drittens: kein Kleidungsstück, das sich ins Internet einklinkt. Keine Jacken mit GPS-Sensor. Keine Unterwäsche, die Blutdruck und EKG an eine medizinische Überwachung meldet …«
»Aber die werden denken, ich bin tot!«, entfuhr es Henrik.
Tim sah ihn überrascht an; er hatte nicht gewusst, dass sein Kollege sich schon dauerüberwachen ließ. Er war noch ein bisschen jung dafür, oder?
Johannes blieb unbeeindruckt. »Sie melden sich einfach ab. Genau so, wie Sie es abends vor dem Schlafengehen machen.«
»Da melde ich mich nur auf den Schlafanzug um.« Henrik sah mit roten Flecken im Gesicht in die Runde. »Ihr braucht nicht so zu gucken. Mit Schlafapnoe ist nicht zu spaßen.«
»Sie werden während unseres Trainings keine Gefahr laufen, an Schlafapnoe zu sterben«, erklärte Johannes ungerührt. Er wies auf die Kabinen. »In Ihren Umkleidekabinen finden Sie ausreichend Wechselwäsche vor. Legen Sie die genannten Dinge in die bereitstehende Box. Diese lässt sich abschließen, nehmen Sie den Schlüssel an sich. Am Schluss erhalten Sie alles zurück.«
»Und unsere Autos?«
»Sie werden mit einem Bus hierher zurückgebracht.« Damit schien für Johannes das Nötige gesagt zu sein. Ein Kopfnicken, dann zog er
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